Chörbliwasser

Episode 15- „Chörbliwasser“: (aus „Erinnerungen an meine Jugend“ von Lina Mathis-Vetsch)

Im Garten wuchs auch das Kerbelkraut, aus dem im Frühsommer in den Brennereien Kerbelwasser gebrannt wurde. „Chörbliwasser“ ist ein altbewährtes Heilmittel, das man für allerlei Wehwehchen anwenden kann.

S’Chörbliwasser
Wenn’s di ufem Maage tuät trugge,
und es zwiggt di gad onò ufem Rugge,
häsch e òffes Bei, oder sus ötschwo e Wunne,
vilicht sogär dr Chopf iibunne,
churzum, es chò dr weäh tòä wo’s dr will
un Medizin vum Tòggter nützt o numme vil,
denn muescht gär nid lòng ummepfuttere,
griefsch sofort zur Chörbliwasser-Guttere.
Nimmscht allpòtt en waggere Schlugg dervu,
un scho glii wört’s dr wieder besser gu.
Chörbliwasser brennt mä us Chrutt wo so guet schmeggt,
as eim wieder alli Lebesgeischter weggt.
Mä tarsch uni wittersch o de Goofe gih,
s’ischt nämli gär ken Alkohol dri.
Jetz frögen d’Lüt sicher gònz gwunnerig
wo mä echt das Wasser überchöm, das bsunnerig.
S’ischt nid schwär, das Örtli z’finne,
am Grabserberg lit’s, eäner echli hinne.
Unnerwies heisst’s, en Huffe Lüt wüssen das,
döt git’s Chörbliwasser, wenn wotsch ä gònzes Fass.

(Aus der Liederkassette des Grabser Schüler-Chors, von Anni Gantenbein, Matnän, Grabserberg)

Anmerkung zum Chörblichruut: Chörbliwasser ist eine destillierte, alkoholfreie Flüssigkeit, die aus Wasser und frischer Süssdolde hergestellt wird. Seinen Namen hat das Chörbliwasser vom Kerbelkraut (“Chörblichruut“). Das Chörblichrut wurde in den Gärten gepflanzt und konnte über den Sommer zwei Mal geschnitten werden. Es wurde in die Brennereien gebracht, dort verarbeitet und das fertige Heilwasser in Korbflaschen abgefüllt. Das Chörbliwasser mit seinem starken Anisgeschmack war DAS Hausmittel in der Gegend und gegen vielerlei Gebresten verwendet.

Landwirtschaft in den 50er Jahren

Episode 14- „Unsere Arbeiten um 1950“: (aus „Erinnerungen an meine Jugend“ von Lina Mathis-Vetsch)

Als wir grösser waren, hiess es für uns bei den anfallenden Arbeiten mithelfen.

In der warmen Jahreszeit durften die Kühe wieder ins Freie auf die saftigen Felder. Waren die beiden Wiesen zu Hause abgegrast, wurde das Vieh auf weiter entfernte Weiden geführt. Dabei half ich gerne. Mit dem Velo lief ich voraus, ab und zu war ein Lockruf nötig: Hoo-o-o-o, chomm weili weili, chomm, buu-u-uu!, und die Vierbeiner folgten hinter mir her. Meistens hatte die Kuh namens „Braune“ ihr Maul fast am Velosattel, so nah lief sie hinter mir her. Zuhinterst folgte unser Vater oder mein grosser Bruder mit einem Stock in der Hand. So marschierte die ganze Truppe auf der Hauptstrasse z.B. beim Restaurant Krone vorbei zur Marienwies. Gegen Abend wurde das Vieh wieder nach Hause geholt zur Fütterung mit Heu und zum Melken.

Wenn mein Bruder mal nicht da war, durfte ich die Kühe „handle“, das heisst vormelken. Dabei musste ich die Euter mit den Händen streicheln und zwar immer von oben nach unten zu den Zitzen. So wurden sie stimuliert, um die Milch besser fliessen zu lassen.

Wenn eine Kuh trächtig war, schickte uns der Vater gegen Ende der Tragzeit zur „Mali“. Wir musste bei ihr Globuli holen „zum besser kalbern“. Mali war Homöopathin. In einem Zimmer befanden sich auf Wandkonsolen viele grosse, braune Glastöpfe, in denen die Globuli aufbewahrt waren. Sie mischte die kleinen, weissen Kügelchen nach Rezepten aus einem grossen, dicken Buch. Waren wir Kinder erkältet, besorgte Mutter für uns Akonit (Aconitum). Weil wir selten Süssigkeiten zu Hause hatten, stibitzte ich manchmal von den süssen Globuli.

Im Frühjahr wurden die Kartoffeln gesteckt, dann wurde mit Heuen begonnen, danach folgte schon wieder das Emden.

Eines Morgens hörte ich Vater in der Küche zu Mutter sagen: „Heute gehe ich mähen.“ Das rief in mir keine Freude wach, ich ging viel lieber zur Schule als zum Heuen. Aber ich konnte die Jahreszeiten und die Arbeiten nicht aufhalten.
So mussten wir alle, gern oder ungern, tüchtig mithelfen. Am liebsten schichtete ich das Heu auf Heinzen. Vater ordnete das Heinzenmachen nur an, wenn eine Schlechtwetterperiode angesagt war. So war ich für einige Tage von meiner ungeliebten Arbeit befreit.
Wir besassen damals nur eine Mähmaschine und einen Schwadenrechen, mit dem man Mädli machen konnte. Alle andern Arbeiten mussten von Hand verrichtet werden.
Nach dem Heuen wurde unverzüglich mit Emden begonnen. Das Emd war um einiges leichter als das Heu. So war auch das „Worben“ und „Zetten“ weniger streng. Am frühen Vormittag musste das frisch gemähte Gras geworbt, anschliessend die Schöchli vom Vortag auseinander gezettet, am Nachmittag dieses fast dürre Heu nochmals gezettet werden. Dann konnte man es mit dem Schwadenrechen zu Maden zusammenmachen.
Nun begann man das Heu zu laden, Mutter und Bruder gabelten das Heu auf den Brückenwagen, wo es Vater fachgerecht zu einem gleichmässigen Fuder aufschüttete. Ich musste mit dem grossen Rechen hinten noch den liegengeblieben Rest zusammenrechen.
Das ganze Fuder wurde mit einem Bindbaum und einem Seil gut angebunden und dann von unserem treuen Pferd Kuba nach Hause gezogen. In der Tenne wurde das Futter für den Winter mit Gabeln, später mit einem Zangenaufzug auf den Heustock gebracht, wo wir Kinder es feststampfen mussten. Wir waren barfuss und die dürren Heustängel verursachten etliche Kratzer an den Beinen. Auch beim Arbeiten auf den Wiesen zogen wir manch schmerzhaftes „Stumpenloch“ zu, meistens zwischen den Zehen.

Andere Kinder sammelten mit ihren Schaufeln und Holzkisten auf den Strassen im Dorf den Pferdemist als Dung für die Gemüsegärten ihrer Mütter.

ein Fuder Heu

ein Fuder Heu

 

Nach der Heuernte folgten gleich die Kartoffelernte. Dies verrichtete Vater mit dem vom Pferd gezogenen Pflug . Wir mussten die reiche Ernte auflesen, dabei die Ackererde gut abreiben und die vollen Körbe in Säcke leeren.

Im Herbst war Obst pflücken und auflesen angesagt.
Vater pflückte Äpfel, die er nach Gams an den Frucht- und Gemüsehändler Kesseli verkaufen konnte. Dieser wiederum hatte seine Kunden in der halben Ostschweiz, mit dem Lastwagen fuhr er bis nach St. Gallen an den Markt. Das Fallobst lasen wir auf. Diese Arbeit liebte ich, mit Mutter machten wir Wettrennen, wer zuerst einen Kratten voll hat. So war der Boden unter einem Baum schnell gesäubert und Sack um Sack mit Mostobst gefüllt. Die letzten Äpfel waren die Bosdorferli. Ich erinnere mich, dass Mutter und ich einmal bei eisigkaltem Wetter und leichtem Schneegestöber die letzten Mostäpfel auflasen.

Wir hatten auch einen Acker mit Mais. Da freuten wir uns auf die „Türggeusscheletä“. Im Tenn wurden die reifen Maiskolben auf einen Haufen geschüttet. Auf den Längsseiten der Tenne standen Holzbänke, auf denen wir und einige unserer Nachbarn Platz nahmen. Dann griff man sich einen Maiskolben, schälte die Blätter weg, liess aber drei bis vier starke Blätter daran. So konnte man je zwei Kolben miteinander zu einem Paar verknüpfen. Diese wurden zum Trocknen im luftigen Estrich an Holzleisten aufgehängt. Waren die Maiskörner hart, wurden sie in der Stricker-Mühle zu Mehl gemahlen. Bei dieser „Türggeusscheletä“ ging es meist lustig zu und her. Es wurde gesungen, Geschichten von früher erzählt, Witze zum Besten gegeben, man lachte und freute sich. Nach der Arbeit gab es einen Imbiss, ich erinnere mich an Birnbrot mit Butter und Kaffee. Wahrscheinlich war auch Most vorhanden.

In meiner Jugendzeit hatte es viel mehr Schnee, als heute. Oft lag am Morgen 30 bis 40 cm Neuschnee. Dann nahm Vater den kleinen Schneepflug hervor, spannte unser Pferd davor und pflügte die Gässchen und Gassen um unser Haus und in der Nachbarschaft. Der Schneepflug bestand aus zwei etwa 40 bis 50 cm hohen, starken Brettern, die zu einem „V“ verfestigt waren. Quer darüber wieder ein Brett, auf dem unser Vater sass, das Leitseil in der Hand. Das Pferd zog den Pflug durch den Neuschnee und so entstanden begehbare Wege.

Bekleidung früher

 

Episode 13- „Kleidung um 1950“: (aus „Erinnerungen an meine Jugend“ von Lina Mathis-Vetsch)

Fussbekleidung
Wir liefen während der ganzen warmen Jahreszeit barfuss, auch zur Schule trugen wir bis zur Oberstufe keine Schuhe. Für den Sonntag hatten wir aber weisse Söckli und Sonntagsschuhe.
Barfuss gehen durften wir im Frühling erst, wenn auf dem Pierbühel kein Schnee mehr lag oder der Kuckuck das erste Mal seinen Ruf erschallen liess. Im Herbst konnten wir barfuss gehen so lange wir mochten. So härtete man sich ab für den Winter.

Für meinen ersten Schultag nähte mir Mutter eine hochgeschlossene Schürze mit „Fälbeli“ (Volants) an den Achseln. Darunter trug ich einen blau-weiss karierten, langärmligen Rock. Um die Rock- und Pulloverärmel zu schützen, trugen wir Überärmel. Diese reichten vom Handgelenk bis über den Ellbogen. Sie waren aus Baumwollstoff und hatten vorne und hinten einen Gummizug. Schürzen trugen wir während den ganzen Schuljahren, sogar in der Sekundarschule.

Kleidung im Winter
Wir Mädchen zogen nun an Stelle eines Rockes unsere Skihosen an. Mutter nähte sie selbst aus warmem Wollstoff aus „Rohners“ Stoffladen. Erst waren es richtige Plumphosen, die nach ein paar Jahren, in denen wir wuchsen, fast zu Keilhosen wurden.
Als Winterschuhe trugen wir über die Knöchel reichende Schuhe mit Holzboden. Die waren recht warm, hatten aber den Nachteil, dass sich an den Holzsohlen Schneeklumpen bildeten. Später hatten wir dann Winterschuhe mit starken Gummisohlen. Unsere Unterwäsche bestand aus selbst genähten Barchenthemden mit langen Ärmeln und Interlockunterhosen, die an den Beinabschlüssen einen Gummizug hatten. Die Hosenbeine reichten bis etwa Mitte der Oberschenkel. Interlock ist ein Baumwollgewebe ähnlich einem Jersey, der aber auf der Innenseite aufgerauht war, fast wie Frottee.
Wir hatten auch Einteiler als Unterwäsche. Auch diese waren aus dem gleichen Material, hatten lange Ärmel und lange Beine bis zu den Knöcheln. Damit wir auf den Abort konnten, hatten diese Einteiler an der Hinterseite der Hose ein oben abknöpfbares Teil, das man hinunterlassen konnte.
Gestrickte Wollstrümpfe schützten die Beine vor der Kälte. Die Strümpfe reichten bis zum Ende der Oberschenkel.
Über dem Unterhemd trug man ein „Gstältli“. Das war wie ein ärmelloser Pullover mit schmalen Achseln und reichte nur bis zur Taille. Beidseitig war am unteren Rand je ein Lochgummiband angenäht. An den Strumpfabschlüssen befand sich an der Beinaussenseite je ein Knopf, an dem man das Gummiband einhängen konnte. So rutschten die Strümpfe nicht hinunter. Etwa in der 5. Klasse mussten wir in der Handarbeitsschule selbst ein Paar Strümpfe stricken. Meine waren aus beiger Wolle, das Muster zwei rechts, zwei links, die rechten Maschen in jeder 6. Runde immer gekreuzt: so entstand ein Zopfmuster. Ach wie hatte ich lange Beine, ich glaubte, ich würde nie fertig mit „lisme“, und doch schaffte ich es.
Gestrickte Fausthandschuhe und Mützen hielten Hände und Kopf warm. Die Jacken waren auch aus Wolle gestrickt, oder Mutter nähte uns solche aus warmem, dunkelblauem Wollstoff.

Karussel und Zuckerwatte

 

Episode 12- „Jahrmarkt um 1950“: (aus „Erinnerungen an meine Jugend“ von Lina Mathis-Vetsch)

Zwei Mal im Jahr fand im Dorf ein Warenmarkt statt, der Jahrmarkt. Auch dieser Tag war für uns Kinder ein kleiner Festtag.
Wir bekamen unter dem Jahr kein Sackgeld, aber am Jahrmarktstag gab uns Mutter einen Einfränkler mit der Bemerkung: „ S’vorig bringsch denn wieder!“ Und es kam vor, dass ich ihr noch einen Zwanziger zurückbringen konnte! Mit diesem Fränkler durften wir allein auf den Jahrmarkt. Da gab es ganz viele feine und schöne Sachen zu kaufen. Bei Vielem mussten wir uns mit Anschauen begnügen, aber am Magenbrotstand kaufte ich gerne eine Zuckererdbeere oder ein Päckli Zuckerzigaretten, die schmeckten so fein.

Beim Spielwarenstand kaufte ich mir mal einen Propeller, den man mit einem Ring an einem gewundenem Metallstäbchen kräftig in die Höhe schieben musste, dann flog er weit davon. Auch Blechvögel, die man mit einem Schlüssel aufziehen konnte, damit sie auf und ab wippten, waren schöne Jahrmarktsandenken.

Beim Dorfschulhaus stand eine Reitschule (Karussell) mit hübsch bemalten Holzpferdchen. Da freuten wir uns an einer Fahrt bei schöner Musikbegleitung. Ich meine mich zu erinnern, dass die Reitschule von grösseren Schuljungen kräftig angeschoben wurde. In späteren Jahren löste das motorbetriebene, moderne Karussell die Rösslireitschule ab. Da fuhr man die Runden im Feuerwehrauto, auf einem Töff oder in einem Schiff.

Auch bei den Süssigkeiten gab es Neues: die Zuckerwatte!

Einmal fuhr Mutter ohne uns zum Jahrmarkt. Ich wusste, dass es dort auch Südfrüchte zu kaufen gab. So bat ich meine Mutter, mir doch bitte eine Orange mitzubringen. Wir hatten ja fast das ganze Jahr über Äpfel zum Essen, man kaufte keine teuren Früchte im Laden.
Als Mutter sich auf dem Velo unserem Haus näherte, hielt sie in der Hand eine Orange hoch. Wie freute ich mich, aber oh weh, es war keine Orange, sie hatte für uns einen kleinen, orangefarbenen Ball gekauft. Sie dachte wohl, dass so alle etwas Neues zum Spielen haben, eine Orange wäre ja in kurzer Zeit verschwunden gewesen.

Badezimmer um 1950

 

Episode 9 – „Unser Badezimmer um 1950“: (aus „Erinnerungen an meine Jugend“ von Lina Mathis-Vetsch)

Unser Badezimmer befand sich unter freiem Himmel. Als Badewanne nutzten wir den Brunnentrog vor dem Stall. Dieser diente aber in erster Linie als Durstlöscher für die Kühe, wenn sie von der Weide zurück in den Stall kamen, oder wenn sie im Winter zum Trinken hinausgelassen wurden.

An heissen Sommertagen wurde der Betontrog umgenutzt. Schon am Morgen liess ihn Mutter mit Wasser voll laufen. Bis am späten Nachmittag hatte das Wasser eine angenehme Temperatur, sodass wir ein Bad nehmen konnten. Mit grosser Freude vergnügten wir uns! Wir planschten und spritzten einander an. Nebenan scharrten, pickten und gackerten die Hühner und auf der Wiese graste das Vieh.

Unsere tägliche Katzenwäsche und das Zähneputzen fanden am Schüttstein in der Küche statt. Jeweils am Sonntag musste die Körperpflege gründlicher sein.
Bis wir gross genug waren, um uns allein gründlich zu waschen, nahm uns Mutter „in die Kur“. Mit Waschlappen und LUX-Seife wusch sie uns Gesicht, Hals und Ohren, aber auch die Arme bis unter die Achseln. Dann waren wir wieder sauber!

Den Abort erreichten wir vom Hausgang aus über vier Treppenstufen. Es war ein Plumpsklo. Als WC-Papier dienten Zeitungsabschnitte. Mit einem Riegel wurde die Türe verschlossen. Mehrmals passierte es, dass eines der Kinder den Riegel nicht mehr zurück schieben konnte. Jetzt war Vaters Hilfe nötig. Er stieg auf einer Leiter zum schmalen Fenster hoch. Mit einer langen Stange, an deren Ende eine Hakenschraube befestigt war, konnte er den Riegel zurück schieben und uns befreien.

Unter jedem Bett stand ein Nachtgeschirr. Dieses leerten wir am Morgen ins Plumpsklo. Dabei konnte es passieren, dass so ein Nachthafen in den Güllenkasten fiel. Auch da musste Vater helfen. Mit einer Schüttrute, die wir zum Obst schütteln brauchten, angelte er das versunkene Stück aus dem dunklen, stinkigen Verliess.

Haus Oberfeld

Haus Oberfeld

Grosse Wäsche beim Grabser Mühlbach

 

Episode 8 – „Grosse Wäsche um 1950“: (aus „Erinnerungen an meine Jugend“ von Lina Mathis-Vetsch)

Jeweils am Sonntagmorgen legte uns Mutter frische Wäsche bereit. Diese trugen wir dann die ganze Woche. Auch die Kleider wechselten wir nur wöchentlich. Die Sonntagskleider wurden am Montagmorgen wieder schön im Schrank versorgt.
Bei einer so grossen Familie wuchs der Wäscheberg kontinuierlich an. Unsere Stofftaschentücher und die gestrickten Wollsocken und -strümpfe wuschen wir von Hand. Dazu stellte die Mutter eine kleine Gelte mit warmem Seifenwasser in der Küche auf den Hocker, und ich war schon bald einmal gross genug, diese Sachen zu waschen. Windeln konnten wir auf dem Holzherd in einem grossen Wäschehafen sieden. Spülen mussten wir sie wiederum von Hand, erst mit warmem Wasser aus dem Wasserschiff und dann noch zwei Mal mit kaltem Wasser.
Alle vier Wochen hatte Mutter grosse Wäsche. Die Bettwäsche wurde gewechselt, was von unseren acht Betten allein schon einen riesigen Berg ergab. Dazu kam die Küchenwäsche, die Frottetücher und Waschplätze. Vaters Stallhosen kamen dazu, die meist sehr dreckig waren. Solch schmutzige Wäschestücke musste Mutter in einer guten Seifenlauge einweichen.

Wir hatten keine Waschmaschine, aber im Dorf gab es drei öffentliche Waschküchen. Mutter liess immer in der Waschküche im Oberdorf waschen. Sie bestellte rechtzeitig die Waschfrau. Für uns war es immer „Gristgatter-Mreiä“ Am Vorabend musste Mutter die Wäsche in grossen hölzernen Gelten, auf einem Handwagen, ins Oberdorf ziehen. Auf dem Wagen war auch das Brennholz, das benötigt wurde um den Waschhafen zu heizen – dies war eine Last.

Den Handwagen mit der Wäsche stellten wir in den Stall bei Grossmutter. Am nächsten Morgen früh, zwischen vier und fünf Uhr, begann Mreiä in der Waschküche mit der Arbeit. Zuerst musste sie Feuer machen um das Wasser in den zwei Waschhafen zu erhitzen. Darin wurde die Wäsche gesotten, zuerst die Weisse, dann die Bunte und zum Schluss die Stallkleider. Dann kamen die Stücke in eine Waschmaschine, die vom Wasser des Mühlbaches angetrieben wurde. Danach wurde in zwei Spültrögen gespült, dazu konnte warmes Wasser vom Waschhafen hinübergeleitet werden. Die letzte Spülung mit kaltem Wasser erfolgte im fliessenden Wasser des Mühlbaches. Ich erinnere mich gut, wie die weissen Leintücher vom strömenden Wasser fast mitgenommen wurden, wie Mreiä sie festhielt und immer wieder zurück zog und wieder mitreissen liess, dies drei bis vier Mal, dann war die Wäsche bestimmt klar gespült. Unsere Mutter half an diesen Waschtagen oft mit, sofern es die anstehenden Arbeiten in der Landwirtschaft zuliessen.

So gegen Mittag war die anstrengende Arbeit getan. Ich weiss nicht mehr genau, welchen Stundenlohn die Waschfrau bekam. Ich meine mich zu erinnern, dass sie für die ganze Arbeit nur 4.50 Franken verlangte. Wusch sie an einem Tag für drei bis vier Familien so kam für sie doch ein schöner Betrag von fast 20.- Franken zusammen.
Mutter holte die saubere Wäsche ab und hängte sie zu Hause zum Trocknen auf. Bei schönem Wetter spannte sie in der oberen Wiese das lange Wäscheseil, in der kalten Jahreszeit oder bei schlechtem Wetter hing die Wäsche in der Oberdiele (Estrich), bis sie trocken war.

Wäsche trocknen

Wäsche trocknen

Grabser Bräuche

 

Episode 7 – „Das Manteln und andere Bräuche“: (aus „Erinnerungen an meine Jugend“ von Lina Mathis-Vetsch)

Der Brauch des Mantelns hielt sich bis in die 60er Jahre. Nahe verwandte Männer trugen bei der Beerdigung auf dem Leichenzug durchs Dorf zur Kirche einen schwarzen Umhang, ähnlich einer Pelerine aus leichtem, schwarzem Stoff.
Es gab zu jener Zeit noch keine Leichenhalle. So wurde die verstorbene Person während drei Tagen im Sarg zu Hause aufgebahrt.
Am Tag der Beerdigung kam der Leichenführer mit seinem schwarzen Leichenwagen, der von einem Pferd gezogen wurde. Die Leute kamen ebenfalls zum Haus. Von dort bewegte sich der Leichenzug in gemächlichem Tempo zum Friedhof. Zuvorderst fuhr der Leichenwagen, an dem die Blumenkränze hingen. Dahinter kamen die Blumenträgerinnen, meist Mädchen im Schulalter. Diese trugen die Blumenschalen und Töpfe, die von Nachbarn, Verwandten und Bekannten geschenkt wurden. Die Blumenträgerinnen erhielten von der Trauerfamilie jeweils ein kleines Geschenk. Hinter den Blumenträgerinnen folgten nun die bemantelten Männer, meist drei oder vier in einer Reihe, dann die weiteren Männer und erst dann die Frauen. Je nach Persönlichkeit gab es so einen recht langen Zug der Menschen, die dem Verstorbenen auf seinem letzten Weg die Ehre erwiesen.
siehe auch „Chircheheiseri“ (interner Link)

Starb ein Elternteil war es Brauch, dass man die Trauerkleidung ein ganzes Jahr lang trug, bei Geschwistern ein halbes Jahr, bei Onkel und Tante waren es drei Monate, bei Grossonkel und Grosstante waren es noch drei Wochen.

Taufe
Die meisten Leute hatten zu jener Zeit noch kein Auto. So ging man mit dem Täufling zu Fuss zur Kirche. Es war Brauch, dass eine Pfuchgotta das Kind im Tragkissen zur Kirche trug. Zu diesem Zweck wurden grössere Schulmädchen angefragt. Erst dort übernahm dann die Gotte den Täufling.
Pfuch bedeutet Pfui. Dem Wort Gotta vorangestellt, würde das auf eine „falsche Gotta“ hinweisen. Daneben aber gibt es „der Pfucher“, was Knirps bedeutet. Damit wäre ein Hinweis auf die kindliche Gestalt der Trägerin gegeben.

Konfirmation
Nach der Konfirmation galt man als erwachsen, nun durfte man auf den Tanz gehen. Meistens war der erste Tanzanlass an Auffahrt im Restaurant Sonnenblick am Gamserberg. Da wanderten die frisch ledigen Grabser und Grabserinnen scharenweise zum Tanzlokal.

Geburtstage, Namenstage, Ostern und Weihnachten waren unsere Festtage.

Gross wurden die Geburtstage nicht gefeiert, es wurde gratuliert und als Geschenk gab es vielleicht mal eine Schokolade, dazu sicher etwas, das gerade gebraucht wurde, z.B. ein Paar Unterhosen oder ein Hemd.

An den Namenstagen wurden wir am Morgen, wenn wir aufstanden, am Hals leicht gewürgt. Die Bedeutung dieses Brauches kenne ich nicht.

An Ostern war für jedes Kind irgendwo im Garten ein Osternestli versteckt. Darin befanden sich ein paar Ostereier und ein Blechosterei, das lauter Zuckereili enthielt. Einmal in der Osterzeit kam Mutters Cousin zu Besuch. Er brachte uns einen riesigen Osterhasen aus Schokolade. So etwas hatten wir noch nie gesehen, das war ein Fest für uns Kinder.

Das Weihnachtsfest wurde voller Spannung erwartet. Was würde das Christkind uns wohl bringen? Welche Wünsche hatten wir? Einen Schirm, eine Badehose, Wollsocken, Finken, Handschuhe, Mütze, Unterwäsche usw. Bei uns kam das Christkind mit dem Christbäumli und den Geschenken über Nacht. So konnten wir den Morgen kaum erwarten, voll Freude und Spannung betraten wir die Stube. In der Ecke am Fenster stand wie immer der hübsch geschmückte Christbaum, an dem nebst bunten Kugeln und Engelhaar auch einige Schoggimäuse hingen. An der Wand zwischen den beiden Fenstern stand der Gabentisch. Darauf lagen und standen alle unsere Geschenke, nicht etwa hübsch eingepackt, nein einfach so.
Von meinem Götti bekam ich jede Weihnachten ein Besteckteil: einen Silberlöffel, später die dazugehörenden Messer, Gabeln und Kaffeelöffeli und zur Konfirmation bekam ich die noch fehlenden Teile.
Von meiner Gotta bekam ich immer etwas „Brauchbares“, einmal einen Schirm, ein anderes Mal waren es Badehosen, weil wir in der Schule im Winter etwa zwei Mal duschen mussten.
Da wurde eingeseift, geschrubbt und gewaschen. Das war sicher nötig, gab es doch in den wenigsten Häusern ein Badezimmer. Es war herrlich unter dem warmen Wasserstrahl!
An Weihnachten vor dem Schuleintritt bekamen wir einen Schultornister, eine Griffelschachtel und Farbstifte. Wenn unsere Gotta oder unser Götti und Familie mit den Geschenken zu Besuch kam, tischte Mutter Weihnachtsguetsli und Rotwein auf. Den Wein holte sie im Konsum, es war meistens Magdalener oder Kalterer.

Am Neujahrstag ging man zu den Nachbarn das Neujahr anwünschen. Da sagten wir: „I wüsche Dir e guets, gsegnets, neus Johr“. Da bekamen wir einen Zehn- oder Zwanzigräppler. Auch den Grosseltern und weiteren Verwandten ging man das Neujahr „aawüsche“. Auch bei diesem Anlass gab es Weihnachtsguetsli und Wein, für uns Kinder Süssmost oder Zuckerwasser.

Grabser Feierabend-Gespräche

 

Episode 4 – „Mit Grossmutter auf dem Heimweg“: (aus „Erinnerungen an meine Jugend“ von Lina Mathis-Vetsch)

Nachdem ihr Mann starb, war Lina tagsüber bei ihrer Tochter und deren Familie. Jeden Abend nach dem Essen wurde sie vom Oberfeld nach Hause ins Oberdorf begleitet. Auf diesem Fussmarsch durch das Dorf gab es manche Gespräche mit Leuten, die nach Feierabend noch draussen waren. Damals gab es noch nicht in jeder Stube ein Radio und schon gar nicht einen Fernseher.

Im Holland stand oft „Òschles Fluri“ am Tenntor. Da wurden einige Worte über das Wetter und den Verlauf der Heu- oder Obsternte gewechselt. Bei der Post und der Kreditanstalt (heute Velohandlung Lindenau) wohnten Kathrina und Tèäbis. Die Themen der Gespräche handelten meistens vom Dorfgeschehen und der Politik.
Der Heimweg ging weiter, an der Milchzentrale vorbei dem Oberdorf entgegen. Manchmal gab es bei „s’Thomäsä“ noch einen Halt. Ueli, Betheli und Chläusli, den sie „dr Bueb“ nannten, waren drei altledige Geschwister. Der Chläusli war häufig schon im Bett, da er ja die ganze Landwirtschaft (2-3 Kühe) allein bewältigte. Ueli war Musiker, anfangs kostete eine Gitarren-Stunde 1.- Fr., später 1.30 Franken. Betheli und Ueli schätzten die abendlichen Besuche, und oft griff Ueli in die Saiten seiner Zither und spielte das bekannte Harry Lime Thema aus dem Film „Der dritte Mann“. Diese zwei alten Leutchen konnten auch wunderbar erzählen und dabei herrlich übertreiben, dass man darüber nur schmunzeln konnte.

Hier ein paar Müsterchen, entnommen aus „Erinnerige as Thomäs“, vom Dachdecker Dres geschrieben:

Es isch en Nebel chuu, digg wie e Wònn, me hät denan bim Mischtzette tägwiis nid gseäh. Me hät Mischtfurgge nid müesse iestegge, sie isch selber gschtònne bi dem Nebel. Un vom Läde uftoä isch ke Red gsi, dr Nòmme häsch chönne iichretzä, soe digg isch dr Flot glegä.

Dr Chläusli hät emol uf dr Alp soe fescht Zòhweäh gkò, dass er drei Täg mus-chleppertoäd i dr Chripp hinn glegä sei.

Ass es eim bim Schtürmä d’Chnöpf vom Schoeppä ewegg rupft, seb weissme, aber d’Sögg zun Schuehne us, seb isch denn gschtürmt. Sisch denn o ruch un chalt worde, d’Chüeh häts tischhoech ufgworfe, soe häns gfrore.

Es sei e dergi Hitz gsi, dass em Betheli ihri Schoess bräselät heg. Un Breme hegs gkò, wie sechswüchegi Färli. Sie hegen dr Chläusli gnu, as es blüetet heg, as wie wemmä e groessi Sau gmetzget het. Jo, abgnaget hensne bis uf d’Chnoche, klepperet hegs, wenn er ummeglaufe sei.

In der Fasnachtszeit hatte Betheli alle Hände voll zu tun. Sie buk Fasnachts-Chüechli. Man brachte ihr die Zutaten: Eier, Mehl, Pferdefett und eine grosse viereckige Zeine, um darin die fertigen Chüechli nach Hause zu holen. Die Beiden verdienten mit ihren Arbeiten das Geld für den bescheidenen Lebensunterhalt.

Teures Schulmaterial

 

Episode 14 – „Schulmaterial für 35 Franken“: (aus „kurze Lebensbeschreibung und Jugenderinnerungen“ verfasst von Christian Tinner, geboren 1880)

„Ich hatte Gelegenheit von früheren Realschülern Bücher billig zu kaufen und wies sie dann dem Lehrer vor. Er sagte: „Ja nun, sie sind eben nicht gleich wie die der anderen Schüler, aber du kannst wohl nicht gut die neuen auch noch kaufen, ich will dir diese belassen“. Das betraf die Physiklehre, das bürgerliche Geschäftsrechnen, Welt- und Schweizergeschichte, Naturkunde usw. Aus diesen Büchern konnte ich wenig holen und war auf den Unterricht in der Schule und mein Gedächtnis angewiesen.

Die anderen kauften auch jeder ein neues Reiszeug für ca. 20 Franken und ich hatte ein Bazar-Reiszeug für Fr. 3.30 und ein altes Käppi. Der Thek war von meinem Vater aus Karton selbst hergestellt. Die Bekleidung blieb immer so bescheiden wie mein Wachstum und die Ernährung blieb ebenfalls gleich mangelhaft. Aber das alles machte meiner Lernbegierde keinen Einfluss.

… Die andern Schüler hielten jeweilen die Hand hoch, wenn sie glaubten die richtige Antwort zu wissen. Da ich einen Freiplatz hatte, liess ich auch den anderen den Vorrang und hielt nicht auf, ausser beim Kopfrechnen und nur wenn der Lehrer mich grad anschaute, dann aber zog ich den Finger sofort wieder zurück. Aber er liess mich nicht einfach sein. In allen Fächern forderte er mich ganz unverhofft auf. Dann stand ich auf, legte die Arme übereinander, wiederholte die Frage, gab deutlich meine Antwort und sass wieder ab.

Gegen den Frühling des ersten Schuljahres suchte ich so viel wie möglich auch in den Deutschstunden die Antworten französisch zu geben. Einmal hiess es am Schulschluss: „…. du gibst mir in den Deutschstunden oft französische Antworten und sie sind gut; aber höre, ich darf in den Deutschstunden nicht französische Antworten annehmen, wenn ich verklagt würde, würde ich bestraft.“… „Ich danke Ihnen Herr Lehrer, ich will es in Zukunft unterlassen“.

Einmal gab es ein unliebsames Vorkommnis . Mein Nebenschüler J.O. hätte in der Französischstunde antworten sollen und konnte es nicht, da sagte ich‘s ihm. Der Lehrer war hinter uns. J.O. gab die Antwort, aber der Lehrer fragte „Hast du es selbst gewusst?“ J.O. wurde rot; „nein du hast es nicht gewusst, der Tinner hat dir eingeblasen; an mich gewandt: „Hast du eingeblasen?“ „Ja, Herr Lehrer“. „Du schreibst mir auf morgen hundert Mal: Man soll nicht einblasen“. Die Klasse erhielt auf morgen sehr viele Hausaufgaben, die ich natürlich auch zu machen hatte. Als ich mit diesen fertig war, schlug es Nacht 1 Uhr. Nun kam die Strafaufgabe daran, aber ich war furchtbar müde. Ich probierte, was geht rascher, deutsch oder „il ne faut pas souffler“. Ich schrieb auf den Bogen „Strafaufgabe“, darunter die Zahlen I bis 100 schön untereinander. Nun schrieb ich den Satz einmal deutsch und fünf Mal französisch. Als am Morgen der Lehrer meine Strafaufgabe sah, rief er mich her. „Was musstest du schreiben? Warum hast du’s französisch geschrieben?“ „Es war Französischstunde“. … „Warum hast du nur 5 Mal geschrieben?“ Ich erzählte ihm, dass ich immer bis zehn Uhr fädeln müsse , dass ich um ein Uhr sehr müde war und nicht mehr schreiben konnte. „Nun ja, ich will es dir glauben, geh an den Platz…“. „Ich danke, Herr Lehrer“ sagte ich und atmete tief auf.

Das Examen dauerte bis Mittag 12 Uhr. Dann bekamen wir im Hirschen in Frümsen ein gutes Mittagessen. Nachher hatten wir noch Deklamationen und Lieder vorzutragen und durften auch noch hören, wie die Gastwirtin den Herren Schulräten Lieder vorsang und dazu Klavier spielte. „Die Sonne sank im Westen mit ihr die heisse Schlacht“.

Dann kam die Ferienzeit: Sie war mir fast eine Ewigkeit. Meine Ferien brachte ich am Fädlertische zu. … Ich sehnte mich nach dem Wiederbeginn der Schule. …Es war mir recht wohl zu Mut wieder im lieben Schulzimmer zu sein und den weisen Lehren zu folgen. Leider sollte aber meine Freude bald eine Trübung erfahren. Schon nach wenigen Wochen munkelten einige Mitschüler, deren Väter mehr wussten als meiner, unser Reallehrer gehe fort, er habe die Stelle gekündigt. Ich kam in Kummer und es ging auch nicht lange, da musste ich wieder dableiben. Als dann die anderen draussen waren, sagte der Lehrer: „Tinner, es tut mir leid, du schuldest mir für Schulmaterialien etwa 35 Franken, und ich kann sie dir leider nicht schenken, weil ich selber auch nicht vermöglich und zudem hier nur schwach belohnt werde.

Das Dorf brennt

 

Episode 7 – „Brand in Rüti-Moos“: (aus „kurze Lebensbeschreibung und Jugenderinnerungen“ verfasst von Christian Tinner, geboren 1880)

Die folgenden Schuljahre gingen ihren Lauf. Ziegen hüten, Schule gehen, fädeln und seltener irgend eine andere Arbeit. Im Jahre 1890 musste ich jede Woche nach Sennwald zu nahen Verwandten als Fädlerbub gehen und auch „Kindsmagd“ sein. Die Frau war die jüngste Schwester meiner Mutter; sie und ihr Mann hatten viel bösen Streit.

Am Eidg. Bettag 1890 brannte bei heftigem Föhn Rüti-Moos. Als ich dann am Montag nach Sennwald kam, sagte die Tante: „Soa, du chast jez gaad of Rüti ei go dr Frei sueche, er ist am Samstig of Altsteta ei go dr Zahltag hola und ist äll no nöd haa cho. Jez wird’r woll z’Rüti un sii und s’Geld versoffa ha, de Glünggi.“
Ich war barfuss und nur mit Hose und Hemd bekleidet. Das ganze Dorf Rüti lag in dickem Rauch und grossem Unglück. Wenige Meter von verbrannten Häusern sah ich jammernde Frauen mit ihren Kindern in Wiesen unter Bäumen.
Bei den Feuerwehren sah ich auch meinen Vater mit rauchverröteten Augen und ermüdet; sie hatten am Bettag die ganze Nacht und auch noch den langen Morgen gearbeitet.
Den Vetter Frei aber fand ich nicht.