Vagabunden um den Hirzensprung

Anlässlich der Recherche zu Doazmol Band 6 über die Berggänger damals im Alpstein entdeckten wir in den historischen Reisebeschrieben einige Passagen zu den Regionen im Rheintal. Eine weitere Kostprobe:

(Textauszug gefunden in „Archiv kleiner zerstreuter Reisebeschreibungen durch merkwürdige Gegenden der Schweiz“, Zweyter Band, 1802, St. Gallen Huberische Buchhandlung)

Von Kobelwies aus nach dem Hirzensprung, kamen wir zuerst durch frucht- und gemüsereiche Felder, man geht auf dem Fusssteige von dort, fast durch einen ländlichen Garten, zu dem andern fort, und so sehr uns zuvor die Gebürg-Gegenden angenehm gewesen waren, so sehr ergötzte uns jetzt dieser Gang in die Tiefe.

In der Gegend des Hirzensprungs, der etwas über 100 Schritte lang und an manchen Orten auch wohl zwischen 10 und 11 Schritte breit ist, sahen wir zuerst einige von den herumziehenden Vagabunden Familien, welche unter freyem Himmel ihre Kost zubereiteten, und eben nicht das Gepräge von ehrlichen Leuten hatten.
Sie waren in einer Höhlung gelagert, der Dampf ihrer Feuer stieg an mehreren Orten hoch empor, ihre Kinder getrauten sich nicht, wahrscheinlich aus Furcht vor einem grossen Hunde, uns anzubetteln, sondern wichen mit scheuen Blicken zurück. Von den Alten kam nur hie und da ein Kopf über den Rand der Erde hervor, der nach uns hinsah. Mehr als 6 dergleichen herumstreifende Karavannen, haben wir auf dem Wege, zwischen hier und Sargans angetroffen.

Unbegreiflich hat es uns geschienen, wie man dieses in so kultivierten Ländern, als jene Herrschaften sind, dulden möge. Es ist freylich wahr, dass die Vielherrschaft dergleichen heimathlosen Leuten einigen Vorschuss leistet, allein da doch so aufgeklärte Kantone hieran mit Theil haben; so sollte man hoffen, dass die Sicherheit in jenen Gegenden besser aufrecht erhalten würde; denn wirklich haben wir darüber klagen hören, dass sogar nach Leuten geschossen worden ist, und wir sind selbst gewarnet worden, uns nicht in jenen Gegenden zu verweilen oder unser Nachtquartier in denselben zu nehmen.

“Damals im Alpstein” (Doazmol Band 6) erscheint Ende Juni 2015 und kann bereits jetzt gerne vorbestellt werden. Der hier präsentierte Text ist nicht im Buch enthalten.

Stipendien doazmol

 

Episode 13 – „Freiplatz an der Realschule“: (aus „kurze Lebensbeschreibung und Jugenderinnerungen“ verfasst von Christian Tinner, geboren 1880)

„Als es im Frühjahr 1893 gegen das Examen ging, fragte der Lehrer einmal, wer in die Realschule gehen werde, solle ihm das melden, damit er das nötige Zeugnis machen könne. Leider durfte ich mich nicht melden, denn meine Eltern erklärten, dass sie mich nicht entbehren können; ich müsse in die Ergänzungsschule gehen und in der freien Zeit fädeln. Dabei blieb es trotz meinem ständigen Bitten und obwohl es mir während der früheren Jahre versprochen war, wenn ich fleissig fädle. Aber das nächste Jahr könne ich dann gehen. Also vertröstete ich mich und fädelte weiter. Aber etwa von Neujahr an merkte ich, dass die Eltern nicht an diese Möglichkeiten glaubten, im kommenden Frühling mich gehen zu lassen. Das machte mich stutzig und traurig. Ich sah ja wohl ein, dass es ihnen schwer gehen wird und dass sie meine Hilfe sehr missen müssten, aber ich überlegte mir auch, was soll denn aus mir werden? Ich fasste den Entschluss: Ich setze es einfach durch! Diesen Frühling will ich gehen, das ist für mein Leben nötig. Mein Verhalten bis zum Frühling trug mir viele Schläge und dem Vater auch viel Verdruss ein. Als dann im April ausgeschrieben war „Realschule Frümsen – Aufnahmeprüfung Montag, den….“, da war der vorherige Sonntag grösster Kampf. Mehrmals Schläge mit dem Strick und „wit jez recht toa“? „Wenn i tar i d’Realschuel toni recht und sos nöd“.

….Endlich um halb neun Uhr kam’s heraus: „Jo nu, wenn’d glich nöd wit recht toa, isch es no gschider, du göngist, aber du muest mr all Obed fädle bis em zehni und um en Friplatz muest selber froga“. „Jo da toni alls, i danka“.
Ich war nur mit Hose, Hemd und Weste bekleidet und barfuss, es war schon dunkel, aber ich sprang so schnell ich mochte das ganze Dorf hinab zum Pfarrhaus. Zog hastig am Glockenzug, da kam Marie, des Pfarrers Schwester: „Was ist?“ „I möchte gern zum Herr Pfarrer“. „Jo jez isch es z’spoot“. Aber der Pfarrer hatte mich gehört und gekannt, kam und fragte nach meinem Begehr. „Herr Pfaarer, i gängt gern i d’Realschuel“. „So, so, da ist recht, i ha scho lang denkt du söttist go“. „Aber i ha ko Zügnis vom Learer“. „Das macht nichts, komm du nur am Morgen“. „Jo gern, aber de Vater het gsoat, i möss selber um en Friplatz fröga“. „Ja, ja, Christian, do will ich scho defür sorga, gang nu heim und schlof fröhlich.“ „I danke ihne vielmol Herr Pfaarer, guet Nacht“.
Mit welcher grossen Freude und sogar noch einigem Stolz eilte ich nach Hause und meldete alles. Sogar der Vater zeigte noch Freude über meine Fröhlichkeit. Ich erneuerte ganz unaufgefordert mein Versprechen, dass ich dann schon fleissig fädeln wolle jeden Abend bis zehn Uhr.

Das Aufstehen am frühen Morgen ging mir noch selten so leicht wie an diesem Montag. Ich rüstete mich so festtäglich als es mir armen Büblein eben möglich war, nahm Bleistift, Federhalter und eine Rösslifeder und auch noch ein angefangenes Schreibheft mit. Von Salez war ich der einzige Kandidat. Vom Elternhaus bis zur Schule wären es ca. ¾ Stunden, aber ich brauchte nur ca. eine halbe Stunde.
Auf dem Platz beim Realschulhaus standen schon einige Gruppen Knaben. Ich merkte es bald: Da sind Sennwalder, da sind Saxer und da sind Frümsener. Etwas entfernt standen noch zwei Mädchen und ich stand ganz allein und endlich wurde die Haustüre von innen geöffnet; ein kleiner, junger Herr mit schwarzer Brille rief freundlich „kommt herein“.

Das war nun mein neuer Lehrer. Wie freute ich mich über dieses schöne Schulzimmer! Es standen da aber einige Männer und Herr Pfarrer Sonderegger von Salez. Das war der einzige Mensch, den ich kannte. Es waren zwei Reihen Schulbänke. Eine Reihe waren Dreiplätzer und die anderen Zweiplätzer. Der Lehrer hiess uns Platz nehmen; die Mädchen in die vorderste Bank, anschliessend die kleineren und dann die grösseren und zu hinterst die grössten Buben. Der Lehrer hielt eine kurze Ansprache, verteilte Papierbogen und gab uns dann Aufgaben. Wir mussten uns nummerieren auf 4. Dann gab es Aufsatzaufgaben, vier verschiedene Themen. So war also abschreiben ausgeschlossen. Schriftliches Rechnen fand ebenfalls auf selbständigem Arbeiten statt. Es gab dann eine Pause zum Abtreten auf den Spielplatz. Unterdessen wurden wahrscheinlich die Arbeiten geprüft und nachher gab es noch Kopfrechnen und Sprach-Prüfungen. Es wurde schon fast 12 Uhr, da hiess es plötzlich: Aufpassen, die Schule ist aus. Der Herr Pfarrer hielt eine kurze Ansprache. „Ihr habt Eure Aufgaben gut gemacht und ihr seid jetzt Realschüler. Seid immer fleissig und führet euch recht anständig auf in der Schule und auch ausser derselben. Seiet auch immer dem Herr Lehrer recht folgsam. Es haben hier zu bleiben:“ Er nennt ca. 4 Namen, zuletzt auch mich.

….. Zuletzt kam ich dran, es war mir bang geworden. Wenn auch ich noch abgewiesen würde? Diese Schmach! Aber es hiess: „Du hast die Sache gut gemacht, die Prüfung gut bestanden und bist also auch ein Realschüler. Wir haben beschlossen, dir auch den Freiplatz zu gewähren. Wir müssen noch wissen, ob du auch die Schulmaterialien frei haben willst oder ob du sie bezahlen kannst.“ Ich glaubte nicht so frech sein zu dürfen und die Lehrmittel auch noch gratis zu wünschen und sagte, „ich werde sie bezahlen“. – Das war dumm und brachte mir später noch einige sehr hinderliche Unannehmlichkeiten.