Bad Ragaz

… Zu Ragaz ist ein Brunn, dessen Teuchel in einer Zeit von 12 bis 15 Jahren fast gänzlich durch Ansetzung eines sehr harten Wasser-Steins mit den so genannten Jahres-Zirkeln inwendig angefüllt werden. Dieses Wasser überzieht auch mit einer steinernen Rinde Laub und Holz. …
Die Tamin. Ein sehr schädliches, auch anfänglich sehr tief rauschendes Wald-Wasser. Es erhält in dem Sargansischen, in den Kalfeiser-Gebirgen gegen den Canton Glarus, seinen Ursprung. Wann es bey dem Dorfe Vettis vorbeygeströmt, kommt es auf das Pfefferser-Bad; unter dem Flecken Ragaz ergiesst es sich in den Rhein. Dieser ungestüme Strom soll, wie Kolwek in seiner Beschreibung des Bads zu Pfeffers meldet, «weit empor, und über die gemeine Nennung weit höher geronnen seyn, wie solches nicht allein die Sage, sondern auch die hinterlassenen augenscheinlichen Zeichen an beiderseits Wänden und Felsen des Gebirgs durch und durch ausweisen; so dass er aus seinem Runs gewiechen und fürterhin durch alle abgelauffene Zeiten tiefer und niederer in die Felsen eingefressen, und der Tieffe nach allezeit abwerts gesunken.» Er berechnet so gar die Versenkung auf 34 Klafter, oder auf 204 Schuh. Die Erfahrung und der Augenschein sezen diese Tiefferwerdung des Runses des Stroms ausser allen Zweifel; die Berechnung selbst aber kann man dahingestellt seyn lassen. Wann der Strom zu wüten anfängt, hat er schon mehrmalen den Bad-Gästen Grauen und Schrecken verursachet, auch dieselben zu einer eilfertigen Verlassung des Bads angetrieben.
Der Flecken Ragaz hat seine verderbende Wuth auf eine Art empfunden, welche er in vielen Jahren nicht verschmerzen kann; da er im Heumonat des Jahres 1762 gar viele dauerhaft gebaute Häuser und Bestallungen theils gänzlich, theils zur Hälfte weggeschwemmt, beträchtliche Weinberge und Matten, ohne die mindeste Hoffnung einer Wiederherstellung, auf das erbarmenswürdigste verherget, alles mit Gries, Felsen, Steinen, … überschwemmt, mit dem Graus alle Gewölber und Keller angefüllt, den Ein- und Ausgang der nach stehen gebliebenen Wohnhäuser gesperrt, ja gar auf viele Schuh hoch mit dem grässlichen Schutt verschlammt hat.
… Der ehedem schöne, und stark bewohnte Flecken Ragaz, liegt an dem Ausgang des Pfeferserthals, in der Ebene, an dem linken Ufer des Rheins, dem Städtgen Meyenfeld vorüber. Durch den Flecken fliesst die wilde Tamin. Sie hat Anno 1762 durch ihren wütenden und unhaltbaren Ausbruch, verschiedene kostbare, von harten Steinen aufgeführte Wohnhäuser und Scheunen von Grund aus, andere aber zur Hälfte weggespült; sie hat die fruchtbaren Matten und Weinberge mit entsetzlichen Lasten von Stein und Gries überdeckt, also den sämtlichen Einwohnern einen fast unersetzlichen Schaden zugefügt. Dieses empfindliche Unglük war nicht das einige; welches bey wenigen Jahren diesen Fleken betroffen; er wurde Anno 1765 im August durch eine unglükliche Feuersbrunst, an einem Sonntag da der neue Landvogt des Stands Bärn die Huldigung einnahm, fast gänzlich in die Asche gelegt. Ueber 112 Häuser, samt allem Futer für das Vieh, giengen an diesem für den Fleken so unglüklichen Tag im Rauch auf. Die wütenden Flammen nahmen so schnell überhand, dass einige tödlich krank liegende Einwohner mit grössester Gefahr aus den brennenden Häusern konnten gerettet werden. An diesem Ort ist eine starke Niederlage von Kaufmannswaaren, welche aus Deutschland und der Eidgenossenschaft durch Bündten nach Italien, oder aus diesem letztern in die erstern Staaten abgehen. Diese starke Durchfuhr verschaffet auch den Einwohnern den allermeisten Verdienst und Nahrung.
(Quelle: Erdbeschreibung der Landvogtey Sargans. Johann Conrad Fäsi, 1768)

… Aeusserst ermüdet kam ich in Ragaz an, dessen Gegend durch fleissige Kultur angenehm und erheiternd ist. Die wilde Tamin strömt mitten durch dieses Dorf, und setzt dessen Einwohner nicht selten in Gefahr. Noch jetzt sieht man die Spuren des Unglücks, welches von der Wuth dieses Bergstromes 1762 auf eine entsetzliche Art verursacht ward. Dem Brausen nachgehend, befand ich mich in wenigen Minuten an dem schwarzen Felsenschlunde, aus welchem die Tamin in die Ebene herausstürzt. Obgleich ihr Fall gar nicht hoch ist, so bildet doch das Ganze eine äusserst mahlerische Naturscene, in welcher besonders beim Abendlicht wilde Energie und finsterer Trotz ausgedrückt wird. …
… Dieser Flecken lebt zum Theil von dem Durchpass aller Kaufmannsgüter, welche der Handel zwischen Italien, Schweiz und Deutschland durch Graubündten über die grosse Alpenstrasse des Splügen gehen lässt. Es ist hier, als an dem Grenzorte der Schweiz, ein Zollhaus errichtet, wo Waaren und Vieh etwas entrichten müssen; diese Abgabe drückt den Handel nicht, denn sie ist wahrlich unbedeutend, jedes bepackte Ross zahlt 2 Kreuzer, jedes Ross oder Rind, welches in Fremdes Land geht, 1 Kreuzer u.s.w.
(Quelle: Ebel 1802 «Schilderung der Gebirgsvölker der Schweiz»)


Der Flecken Ragaz am linken Ufer der Tamina beim Austritt aus der Felsenschlucht zählt nahe an 1200 Einwohner; er hat einige schöne Häuser und einen geräumigen Marktplatz, im Gasthaus zur Tamina wird stets reges Wirthschaftsleben getroffen. Uebrigens ist es weder ein schöner noch reinlicher Ort, und obwohl eine bedeutende Station für Reisende und grossen Waarentransit, weder wohlhabend noch gewerbreich. Es hat aber auch als Grenzort viel durch Krieg, sowie an Feuer- und Wassernoth gelitten. 1762 wurde das Dorf von dem Bergstrom schrecklich verwüstet, wovon man die Spuren noch jetzt an mehreren Häusern sieht; dennoch haben die Ragazer nur ungern zugegeben, dass Abt Bonifacius III., gleich nach dieser Zerstörung, der Tamina einen geraden Lauf in das Rheinbett verschaffte. 1799 wurde von den Franzosen, um einen Angriff der Oesterreicher abzuwehren, die Brücke angezündet und der halbe Flecken abgebrannt.

Die Verkehrsverbindungen 1843:




(Quelle: Die Heilquelle zu Pfäfers und Hof Ragaz sammt Umgebungen von Dr. J.J. Kaiser. Verlag von Scheitlin und Bollikofer, 1843)

… Im Winkel zwischen Berg und Fluss steht das Kurhaus Hof Ragatz, ursprünglich die jetzt stark erweiterte alte Statthalterei des Klosters Pfäfers, schön gelegen, zu Uebersicht der ganzen Gegend geeignet. Die ganze Einrichtung des Hauses, die elegante Anordnung der Badeanstalten, die offene, in schönen Gartenanlagen gelegene Trinkhalle, bezeichnen die Anstalt als ein Werk der neueren Zeit, während dem Bade Pfäfers noch der Charakter des Klösterlichen aufgeprägt ist; in der That wurde erst 1840 das wichtige Unternehmen ausgeführt, das Wasser durch Röhrenleitungen hierher zu bringen, und ein allgemeines Volksfest war es, als es zuerst hier mit fast gleicher Wärme wie oben, aus den Röhren sprang. Das Bad Ragatz hat vor vielen andern den Vortheil, dass es am Fusse des Hochgebirgs in einer sehr milden Gegend gelegen ist, die Vorzüge des Gebirgs und der Ebene vereinigt und fast das ganze Jahr gebraucht werden kann. Das Leben ist mehr das der grossen Bäder und entwickelt sich in diesem Sinne weiter, die grosse Welt hat es sich zum Zielpunkt erwählt, die Gasthöfe und Privatwohnungen können den Andrang von Fremden kaum mehr fassen, welche auf der neuen Eisenbahn ab- und zugehen, und die meisten kehren gern wieder in den freundlichen Ort und seine Umgebung. …
Die Eisenbahn und die bequemen Postverbindungen bieten Gelegenheit genug zu Ausflügen rheinabwärts und in die Bündner Thäler; wer gern Gebirgstouren macht, hat sie in der Nähe. …
(Quelle: Naturbilder aus den Rhätischen Alpen. Ein Führer durch Graubünden. Von Prof. Gottfried Theobald. Chur, 1862)

Ragatz. … Früher Regatz, auch Regacis, ein unweit dem Einfluss der Tamina in den Rhein, zunächst dem Bergpass Porta romana an der uralten rhätischen Haupthandelsstrasse nach Italien gelegener Ort, schon in einer Bulle Papst Gregors 998 vorkommend. …
1515 in Betracht, dass die von Ragatz auf Verlangen der Kaufleute, die ihre Güter über Gungkels durch den Schollberg führen lassen, ein Kaufhaus oder Sust erbaut hatten, damit die Güter versorgt werden und nicht zur Winterszeit an der Strasse liegen bleiben, wurde der Gemeinde Ragatz von den das Sarganserland regierenden Orten der Bezug einer Gebühr von den transitirenden Waaren bewilligt. …
1586 verbrannten im Dorfe Ragatz 18 Häuser und die übrigen mit der Kirche konnten nur durch thätige Hülfeleistung der aus den benachbarten Gemeinden herbeieilenden Mannschaft gerettet werden. 1703 drohte eine grosse Feuersbrunst grossen Schaden, dem durch schnelle Hülfe vorgebogen ward. Ein 1734 ausgebrochener Brand legte 42 Firsten und einen grossen Theil von Güternutzen zu Ragatz in Asche. Ein grauer Schreckenstag für diesen Ort war der 10. Juli 1762, das Wildwasser der Tamina durch anhaltenden Regen und starken Wolkenbruch hoch angeschwollen und alle Schutzwehren durchbrechend, überfluthete mit unerhörter Heftigkeit und furchtbarem Wasserschwall das Dorf und dessen Umgebung, riss 42 Häuser und Scheunen mit sich fort, unterwühlte andere von Grund aus, dass sie nachher abgetragen werden mussten, zerstörte theilweise sogar massive steinerne Häuser, so dass von 180 Gebäuden nur 30 unbeschädigt blieben; den Hauptplatz des Dorfes überdeckte die Masse des zurückbleibenden Geschiebes, Schlamm und Felsblöcken in Stockwerkhöhe, daher von mehrerern Häusern der untere Theil gänzlich verschüttet wurde und die Hausthüren im zweiten Etage angebracht werden mussten, viel Vieh, Haus- und Feldgeräthe, Bäume u. A. wurden weggeschwemmt, und die schönsten Felder und Wiesen glichen einer Wüstenei. Diese furchtbare Wasserverheerung verursachte unberechenbaren Schaden und blieb lange Zeit noch in ihren traurigen Folgen sichtbar. Noch hatten sich hievon die Bewohner dieser Ortschaft nicht ganz erholen können, als sie ein anderes grosses Unglück überraschte; ein am 8. September 1765 durch einen unvorsichtigen Schuss bei der Landvogtshuldigung veranlasster Brand verzehrte bei heftigem Winde mit reissender Schnelligkeit um sich greifend 133 Gebäude, auch grösstentheils die aufgespeicherten Futter- und Erntevorräthe, viele Fahrhabe und machte die Einwohner beinahe völlig obdachlos, da ausser der Kirche, den fürstlichen Hof- und Oekonomiegebäuden und wenigen entlegeneren Hütten das ganze Dorf ein Raub der Flammen wurde. Nur der grössten Anstrengung und menschenfreundlichen Beihülfe gelang mit Jahren der Wiederaufbau des Ortes und die Linderung der schrecklichen Wirkungen so grosser und wiederholter Unglücksfälle. …
Im Winter von 1798 auf 1799 war Ragatz mit den meisten Gemeinden des Sarganserlandes von starken französischen Armeekorps besetzt, die daselbst Winterquartier bezogen hatten, und schwer lasteten Einquartierungs- und Lieferungsbedrängnisse längere Zeit auf der Einwohnerschaft. Bei Erstürmung der dortigen festen Positionen der Franzosen durch die Oesterreicher am 14. Mai 1799 wurde von den erstern zur Erschwerung des Flussübergangs die gedeckte Taminabrücke verbrannt, damit bei heftigem Winde beinahe die Hälfte des Dorfes ein Raub der Flammen, und nachrückende Rotten von Marodeurs plünderten in Häusern und Ställen während des Brandunglücks. …
1838 in Folge Auflösung der Klosterkorporation von Pfäfers, Liquidation ihres Vermögens und Eigenthums, Uebertragung der Besitzungen dieses Stifts an den Staat, worin auch die Heilquelle von Pfäfers und die Statthalterei oder Hof Ragaz inbegriffen war, erlangte die Gemeinde Ragatz mehrfache wichtige und bleibende Vortheile. Zur direkten Verbindung dieser Ortschaft mit dem Bad Pfäfers wurde im Winter von 1838 auf 1839 durch Ingenieur Adolf Näff von Altstätten mit Ueberwindung grosser Terrainschwierigkeiten bis Mitte Sommer 1839 eine wirkliche Kunststrasse gebaut; derselben entlang erstellte Strasseninspektor Wilhelm Hartmann die Leitung des Pfäferser Quellwassers vom Bade bis zum Hofe Ragatz und mittlerweile wurden dortige Gebäulichkeiten nach Plan und unter Direktion von Architekt Wilhelm Kubli von Altstätten, ebenso schön als zweckmässig in eine Kur- und Badeanstalt umgewandelt, mit erforderlichen Angebäuden, Trinkhalle und Gartenanlagen versehen, wodurch mehrhundertjährige gefühlte Bedürfnisse und kühne Wünsche befriedigendste Erfüllung fanden.
Die feierliche Eröffnung der neuen Kuranstalt Hof Ragatz und des ersten Eintreffens des Pfäferser Heilwassers in Ragatz, dessen Bewohner sein Erscheinen als wahren Segensborn, an den sich viele Beziehungen und Hoffnungen knüpfen, mit Jubel begrüssten, fand am 31. Mai 1840 statt, unter Glockengeläute, in Anwesenheit einer Abordnung der hohen Regierung; der Bezirks- und Gemeindebehörden und einer zahllosen Volksmenge. Wundervollen Effekt gewährten mit der einbrechenden Nachtzeit dieses Festtages die Beleuchtung des Hofes Ragatz, der Schlossruinen Freudenberg und Wartenstein, der im bengalischen Feuer glänzenden Marmorgrotte und der auf dem Pizalun, Gonzen und am Falknis hochlodernden Freudenfeuer.
(Quelle: Chronik des Kantons St. Gallen. August Naef. 1867)

… Wer Ragaz oder vielmehr die grosse Badanstalt neben dem Flecken Ragaz seit einigen Jahren nicht gesehen hat, der kennt es nicht wieder, wenn er jetzt dahin kommt, und wenn man bedenkt, dass Ragaz als Bad erst dreissig Jahre alt ist, so haben wir da einen riesigen Fortschritt. …
Im Jahre 1838 traf das Schicksal mancher Klöster in der Schweiz auch die Abtei Pfäfers. Sie wurde sekularisirt und damit kam auch die Heilquelle Pfäfers an den Staat St. Gallen. In unserem Jahrhundert der Erfindungen für Friedenswerke und Kriegszwecke kann es nicht Wunder nehmen, dass man nun daran dachte, die Heilquelle von Pfäfers auch insofern zu sekularisiren, dass man sie aus der klösterlichen Eingrenzung befreite und in grösserem Massstabe als es bisher möglich gewesen war, nutzbar machte. Die Ausführung dieses Gedankens ist aber doch gross zu nennen. Es wurde beschlossen, das Thermalwasser in hölzernen Röhren längs der Tamina bis zu dem dreiviertel Stunden entfernten Dorf Ragaz zu leiten, wo einer Badekur Luft und Licht nicht fehlen würde, zugleich aber zur Linken des Bergstroms eine Kunststrasse von Pfäfers bis Ragaz zu bauen. Man berechnete, dass das Thermalwasser auf diesem Röhrenwege nur etwa 2° R. an Wärme verlieren, also noch mit 27-28° R. in Ragaz anlangen werde. Das Statthaltereigebäude in Hof Ragaz wurde zur neuen Badeanstalt und zum Gasthaus ausersehen. Zugleich musste man jetzt und in den nächsten Jahren der Fassung und Beherrschung der Quellen bei ihrem Ursprunge eine besondere Pflege widmen. Schon am 30. Mai 1840 konnte die Feier des ausgeführten Unternehmens statt finden. Der bekannte Balneolog, Doctor Meyer-Ahrens in Zürich, beschreibt diese Feier. «Unter Glockengeläute und Freudenschüssen wurde das Hervorsprudeln der warmen Quelle auf offenem Platze vor dem Gasthofe begrüsst; die Quellgrotte in Pfäfers wurde mit bengalischem Feuer erleuchtet, am Abend wurden die Burgruinen Wartenstein und Freudenberg erleuchtet, auf dem Pizalun, dem Gonzen und dem Falknis zündete man Freudenfeuer an und schloss auf diese Weise das seltene Freudenfest.»
Ragaz wurde rasch ein berühmter Kurort, auch schon als man noch nicht mit der Eisenbahn dahin kommen konnte und es wäre ohne Eisenbahn berühmt geworden. Eine Fahrt, etwa von Zürich her, war damals umständlicher als jetzt, aber bei günstiger Witterung genussreicher. … Ragaz würde nur eine nicht eben bedeutende Zwischenstation auf der nach Chur führenden Bahn sein, wenn nicht die Bäder im Hintergrunde eine so grosse Anziehungskraft hätten. Jetzt stehen Omnibus von Gasthöfen in der Reihe, als ob eine bedeutende Stadt in der Nähe wäre. Ich wähle das elegante Gefährte des «Quellenhofs», denn es liegt mir daran, Ragaz auf seiner höchsten Entwicklungsstufe kennen zu lernen.
Ich hatte Ragaz seit zehn Jahren nicht gesehen. Damals mir «Hof Ragaz» als ein Hôtel ersten Ranges erschienen, jetzt kam es mir nur vor als eine ältere Zubehör zu dem grossen Prachtbau des «Quellenhofs» mit seinen neuen Nebenbauten in den schöne Gartenanlagen. Die Umwandlung des Ganzen hat erst in den letzten zwei Jahren stattgefunden und ist so grossartig, dass man sie amerikanisch nennen kann. Herr Direktor Simon, der jetzige Eigenthümer, ist auch ein Mann von amerikanischem Unternehmungsgeist und verbindet damit den Geschmack eines Künstlers. Er ist Architekt, hat früher in Petersburg palastartige Bauten ausgeführt, dann in St. Gallen zum neuen Bahnhofsquartier den Impuls gegeben und ist auch besonders für den Neubau von Glarus thätig gewesen. Das neue Rathhaus in Glarus ist sein Plan und an anderen öffentlichen Gebäuden daselbst hat er mitgewirkt.
Wenn Ragaz schon bisher ein Kurort von europäischer Berühmtheit genannt werden konnte, so ist durch die neuen Einrichtungen dafür gesorgt, dass fortan noch mehr europäische Menschheit hier ausruhen und neue Lebenskraft sich holen kann und wann ist wohl das Bedürfnis dazu grösser gewesen als eben jetzt?
Die vier Quellen, welche man in Pfäfers in einem Felsenbassin gesammelt hat, sind bekanntlich nicht mineralisch, sondern indifferent. Die Röhrenleitung, welche das Thermalwasser den weiten Weg nach Ragaz führt, ist jetzt so vervollkommnet, dass nur wenig Wärme verloren geht. Nach neuen Messungen variirt die Wärme an verschiedenen Stellen in Hof Ragaz und im Quellenhof zwischen 27 ½ – 29°R. Die hölzernen Röhren am linken Bord der Tamina entlang sind jetzt durch eiserne ersetzt und wie diese an sich solider sind, so befinden sie sich auch nicht mehr auf der Oberfläche des Bords, sondern sind eingelegt und dadurch den Einflüssen der Witterung und dem Verderben nicht ausgesetzt.
Wie ein solches aus dem Innern der Erde herausströmendes warmes Wasser, ohne mineralischen Gehalt, eine solche Heilkraft haben könne, wie sie seit Jahrhunderten und gegenwärtig nicht minder als früher angenommen wird, das muss ich der Beurtheilung der Mediziner überlassen. Thatsachen überraschender Heilung und Genesung liegen genug vor. Ich habe keine eigentliche Kur in Ragaz durchgemacht, sondern kann nur sagen, dass ein dortiges Bad ein Wohlbehagen bringt, wie man es in den künstlich erwärmten Bädern in dem Grade nicht hat. Es ist als ob mit jedem Bade die Haut erneuert wird. Da man nun oft von Menschen mit starken Affekten den Wunsch hört, sie möchten aus der Haut fahren, dieses aber doch nicht leicht zu bewerkstelligen ist, auch niemand sich möchte wie Marsyas oder einen Aal behandeln lassen, so wäre, in Erwägung, dass nicht bloss die Leidenschaften, sondern auch die Affekte sehr nachtheilig wirken, solchen affektvollen Menschen eine gründliche Badekur in Ragaz anzurathen; aber nicht bloss solchen, sondern allen denen, die eine beruhigende, umstimmende Lebenswärme nöthig haben, und da doch wohl das Wasser allein es nicht thut, so ist im Quellenhof auch für das Weitere in bester Weise gesorgt.
Quellenhof und Hof Ragaz haben zusammen 80 Bäder in grösseren und kleineren, mit mehr oder weniger Eleganz ausgestatteten Räumen. Ich konnte mir ein grösseres Kabinet auswählen und unwillkürlich kam mir die Vergleichung der hiesigen Einrichtungen mit dem Badeapparat in den kellerartigen dumpfen Spelunken in Baden im Aargau, wo man sich freut, wenn man seine Zeit abgesessen hat. Wie das Murmeln einer Quelle unterhält im Quellenhof das fortwährend in gleichem Masse abfliessende und zuströmende reine und klare Thermalwasser und die baulichen Einrichtungen sind der Art, dass auch die Luft oberhalb rein bleibt und nicht ein feuchter Niederschlag belästigt. Für Douchen ist natürlich vielfach gesorgt und ingeniös sind die Apparate, um einzelnen Theilen des Körpers, z. B. einem gelähmten Arm ein durch starke Strömung potenzirtes Spezialbad zuzuwenden. Eine vorzügliche Zugabe zu den sonstigen Badeeinrichtungen ist das neue Schwimmbad. Neben der Badehalle unter dem Dach eines besonderen Gebäudes ist ein 80 Fuss langes und 30 Fuss breites Bassin, in welches von dem reichlichen Thermalwasser fortwährend eine genügende Quantität zuströmt. Die Temperatur des Wassers in dem Bassin ist regelmässig 22-23° R. Den beiden Geschlechtern sind in diesem Schwimmbade bestimmte Tagesstunden für ihre Schwimm-Turniere zugetheilt.
Dass in wirthschaftlicher Beziehung der Quellenhof ein Hôtel ersten Ranges ist, brauche ich kaum zu erwähnen. Es sollen dort 300 und in dem damit verbundenen Hof Ragaz 200 Personen Quartier finden können. Der gemeinsame Speisesaal für beide Hôtels ist im Quellenhof und von genügender Grösse, da sich die Gäste auf die Tables d’hôte um 1 Uhr und um 5 Uhr vertheilen und am Abend à la carte gespeist wird. Wäre ich Feinschmecker und luxuriös, so würde ich manches erzählen können über die Leistungen des Quellenhofs, aber das gehört nicht in mein Studiengebiet.
Anfangs hatte ich Mühe mich dort zu orientiren. Bald gerieth ich in einen eleganten Damensalon, bald konnte ich nur nach einigem Suchen mein Zimmer auffinden. Dazu sah ich nicht einen einzigen Bekannten und ich konnte keine Neigung haben, mich in die sehr verschiedenen Nationen angehörige Gesellschaft einzudrängen. Einheitlich war diese grosse Gesellschaft um so weniger, da wir, wenn auch fern vom Kriegsschauplatz, doch mitten in dem grossen Kriege standen. Sehr bald fand ich aber in meiner Verlassenheit eine tröstende Freundin, die Musik. Dreimal am Tage spielte die treffliche Kurkapelle in dem Musikpavillon in den Anlagen oder in dem bedachten Gange bei der Badehalle oder in dem unteren Saal des für sich stehenden Restaurationsgebäudes, welches Lesezimmer, Billard, Rauchzimmer etc. enthält. Die Musik bewies auch darin Takt, dass weder die «Wacht am Rhein» noch die Marseillaise gespielt wurde. Nur in einem Potpourri kam das schöne Lied «Nach Frankreich zogen zwei Grenadier» vor, aber ohne den Schumann’schen Schluss der Marseillaise. Es war einige Tage nach dem Fall von Sedan und ich dachte, dass schwerlich jetzt der tiefe Schmerz der Grenadiere sich äussern würde, wie Heine es sich gedacht hat: Mein Kaiser, mein Kaiser gefangen! Jene Neutralität der Musik auf diesem der Gesundheitspflege geweihten Boden gefiel mir besser als der spiessbürgerliche Neutralitäts-Dusel, der sich damals in der Schweiz oft in die Formel kleidete: «De Franzos hät übercho, de Prüüs muess au no ha!»
Zum gedeihlichen Wirken der Wasserkur in Ragaz trägt ohne Zweifel die Luftkur nicht wenig bei, welche man damit nicht nur verbinden kann, sondern verbinden muss denn die schöne nähere und weitere Umgebung lockt immer wieder ins Freie. Hier wird jeder, wenn er auch bei Hause dazu wenig Zeit und Neigung hat, eifriger Spatziergänger. Sogar der korpulente hamburger Kaufherr wurde zu einem Locomobile und überraschte sich selbst mit der Möglichkeit die mehr als eine Viertelstunde entfernte Ruine Freudenberg nicht nur höchsteigenfüssig zu erreichen, sondern auch von dort ohne Beihülfe in den Quellenhof zurückzukehren. Das hatte ihm freilich Schweiss gekostet, aber er war sich einer ausserordentlichen Leistung bewusst und gab sich der Hoffnung hin, mit einer sehr verbesserten Taille bald auf der hamburger Börse wieder erscheinen zu können.
Im Mittsommer mag in den Mittagsstunden an sonnigen Tagen die Temperatur in Ragaz heiss sein, aber es fehlt nicht an schattigen Plätzen und in den nicht wenigen Morgen- und Abendstunden empfindet man, dass man der Alpenregion nahe ist. Mir gewährte es grossen Genuss nach dem Gange am Nachmittage mich in die Halle vor dem Restaurationsgebäude zu setzen, von dort über die Rheinebene auf die Falknisgruppe und die übrige mächtige Bergeinfassung zu schauen und an deren Wänden und Gipfeln die Lichtveränderungen zu beobachten, welche das Scheiden der Sonne bringt. Da fühlt man sich ganz hineingezogen in die Alpenwelt mit ihrem frischen Hauch. Wenn man dann am folgenden Tage nachsinnt über eine neue Excursion und es am zweckmässigsten findet Tschudi zu consultiren, so kann nur die Vielheit der möglichen Wanderziele Schwierigkeiten machen.
(Quelle: Wanderstudien aus der Schweiz. Eduard Osenbrüggen. 1867-1881)

Ragaz. Die Bade-Saison von 1871 ist eine der besten, die Ragaz je erlebt hat; – gegenwärtig ist der Fremdenbesuch ein so bedeutender, dass nicht nur die grossen Hotels, sondern auch sämmtliche kleinere Gasthöfe und Pensionen und selbst eine Anzahl Privatlogis gänzlich besetzt sind. Der Beginn der Saison war äusserst flau, zum Theil der nasskalten Witterung, zum Theil der grossen Festlichkeiten wegen, die zu Berlin und Rom den Strom der reisenden Welt aufstauten. Vor zirka drei Wochen folgte aber ein Umschlag dieser Frequenzverhältnisse, unsere Etablissements bevölkerten sich und die besorgten Mienen der Hoteliers begannen sich aufzuheitern. Einen Massstab für den Umfang des derzeitigen Saisonlebens mag die statistische Notiz geben, dass im Laufe dieses Monats von hiesigem Postbüreau zirka 16’000 Briefe versandt wurden, während der Umsatz in baar eine Höhe von zirka Fr. 60’000 erreichte. – Die Nachwehen des deutsch-französischen Krieges sind jedoch überall hin etwas fühlbar. Einen Grosstheil namentlich franz. Geschäftsleute beschäftigt der Wiederaufbau oder die Restaurirung der zerrütteten kommerziellen Verhältnisse zu sehr, als dass sie Zeit fänden, sich einige Wochen der Erholung zu gönnen. Dagegen bilden die deutschen Offiziere einen starken Bruchtheil der Kurgäste-Ziffer. Auch Ragaz wird in grosser Anzahl von ihnen besucht. Am lebendigsten tritt das Kurleben in den Etablissements des Hrn. Direktor Simon zu Tage, wo namentlich die treffliche Kurkapelle die Gäste ans Hotel fesselt, resp. in die Anlagen lockt. – Eine neue Unternehmung im Interesse der Förderung unserer Kurindustrie haben wir noch zu verzeichnen. Es haben nämlich die HH. Weiss und Schreiber z. Ragaz einen «Führer für Ragaz-Pfäfers» herausgegeben, eine literarische Arbeit, die wohl manchem Fremden als angenehmer Begleiter durch den Kurort und seine Umgebung dienen wird. Wir wünschen dem Büchlein seitens des Publikums eine freundliche Aufnahme. (Oberl. Anz.)
(Quelle: Die Alpenpost 1871)

Die Saison ist auch in Ragaz auf ihrem Höhepunkte, schreibt der «Fr. Rh.» Nicht nur sind Quellenhof und Hof Ragaz voll besetzt, auch die Pensionen und Hotels im Dorfe haben ihre Kundschaft, manche sind auch überfüllt. Geradezu ein Muster monumentaler Baukunst ist der Quellenhof. Schönheit und Zweckmässigkeit, Architektur und Industrie sind da in schönem Verhältnis zur Harmonie geeinigt. Die Anlagen des Gartens und Parks sind noch jung, aber vielversprechend. Entsprechend ist die Einrichtung der Bäder. Die Badzellen leiden nirgends an Feuchtigkeit, für Alles gesorgt, Kranke, die nicht gehen können, werden auf einem beweglichen Stuhl ins Bad gehoben, dann sind da Sitzbäder, Fussbäder, geräuschlose Bäder, überall Doucheeinrichtung. Ein Unikum ist das grosse Thermalschwimmbad, mit origineller, der Natur abgelauschter Hallestruktur. Im Garten und den hohen Gängen schwirrt Morgens, Mittags und Abends die fashionable Kurwelt, in ihren bunten Toiletten einem farbigen, mannigfaltigen Blumenteppich vergleichbar. Bisweilen trifft man bei einem Granatenstrauche oder einem Beete von Pelargonien den kleinen Napoleon, den Schöpfer des Quellenhofes, Direktor Simon. Er hat sich in seinem Bau ein bewundernswerthes Denkmal des Geschmacks und unternehmender Energie gesetzt.
(Quelle: Die Alpenpost 1871)

St. Gallen. Die Simon’schen Kuranstalten in Ragaz wurden in dieser Saison so überfüllt, dass selbst die Gesellschaftszimmer des Kursaales mit Betten besetzt werden mussten. Im Laufe dieses Winters beginnt Hr. Simon den Bau zweier Schweizerhäuser für grössere Familien, die abgesondert zu sein wünschen und fürs nächste Jahr kommt der zweite, dem Quellenhof gleiche, grosse Gasthof in Bau. Das warme Abwasser aus den Bädern soll alsdann nach dem Rath des Prof. Karl Vogt in einem grossen, mit einer Glaskuppel überwölbten Bassin gesammelt werden und der Victoria Regia, Nelumbien und ähnlichen Warmwasserpflanzen zur Entwicklung dienen.
(Quelle: Die Alpenpost 1871)

Ragaz-Pfäffers nimmt von Jahr zu Jahr mehr das Ansehen eines Weltkurortes an. Der unermüdliche geniale Direktor Simon hat wieder «Schweizerhäuser» mit überraschender Ornamantie an der lieblichsten Stelle seiner Gärten aus dem Boden herausgezaubert und kann nun in seinen Etablissementen in Ragaz leicht 500 Kurgäste auf einmal beherbergen. Pfäffers, das Bad, hat unter der umsichtigen Leitung des neuen Direktors, Hr. Probst, den guten Ruf bereits wieder erobert und erfreut sich jetzt schon eines in den letzten Jahren nicht gekannten grossen Zuspruchs. Neben diesen genannten Kur- und Gasthäusern stehen dem Publikum noch 28 Hotels 1. und 2. Ranges, Pensionen und maisons meublées etc. zur Disposition, so dass die Haute saison täglich eine Liste von über tausend Personen aufweisen dürfte. Eine vortreffliche Kurkapelle wird das ihrige zu einem angenehmen Sommeraufenthalte beitragen.
(Quelle: Die Alpenpost 1872)

Ragaz-Pfäffers. Den 7. d. M. fand auf der Strasse zwischen Ragaz und Pfäffers ein Erdrutsch statt, der die Thermenleitung derart beschädigte, dass die Ragazer Badegäste plötzlich im Trocknen sassen. Hr. Direktor Simon brachte aber durch seine bekannte Energie des folgenden Tages die Sache wieder ins rechte Geleise, so dass die Strasse wieder fahrbar ist. Leider verlor aber bei den Wegräumungsarbeiten ein Arbeiter, Vater von 5 unerzogenen Kindern, das Leben. Am nämlichen Abend wurde in den Kuranstalten eine Sammlung zu Gunsten der trauernden Hinterlassenen aufgenommen, die Fr. 870 abwarf.
(Quelle: Die Alpenpost 1872)

Ragaz. Dieser frisch aufblühende Kurort macht rühmliche Anstrengungen, einen eidgenössischen Waffenplatz in seine Nähe zu bekommen. In der That eignet sich die dortige Gegend am Rhein, ganz abgesehen von der kaum 1 Stunde entfernten Luziensteig, sehr gut dazu. Das muss dort ein Leben sein, wenn sich einmal Militärtrompetenschall, Kurkapellenharmonie und Trommelschlag wechselseitig ablösen!
(Quelle: Die Alpenpost 1874)

Ragaz. Der Besitzer der Bäder Ragaz-Pfäfers, Fr. Simon, entwirft gegenwärtig die Pläne zu einer geschmackvollen Kapelle, die in der Nähe der grossartigen Kuretablissements zu stehen kommen soll. Es vergeht kein Jahr, dass Simon seine Gäste nicht mit einem neuen bedeutenden Werke überrascht, das zur Verschönerung und Vervollständigung des rasch aufblühenden Kurortes beiträgt.
(Quelle: Die Alpenpost 1874)

Trink- und Badehalle in Ragaz-Dorf. Ragaz-Pfäfers ist einer der Kurorte, der sich innert wenigen Jahrzehnten aus kleinen Anfängen auf den ersten Rang emporgeschwungen hat, einestheils durch die Heilkraft der dortigen Thermen, anderntheils durch die Grossartigkeit der Natur daselbst; vornehmlich aber durch die Energie und die geschickte Anhandnahme des ganzen Geschäftes von Seite des Architekten Simon und des Kurvereins von Ragaz. Obwohl die grossartigen Simon’schen Etablissements in Ragaz und Pfäfers mit den vortrefflichsten Badeeinrichtungen versehen sind, so schien es doch geboten, im Dorfe selbst eine Badeanstalt zu erstellen, um den in den dortigen Hôtels und Pensionen logirenden Gästen mehr Bequemlichkeit zu bieten. So entstand denn der ebenso schöne als praktische Bau, den wir heute unsern Lesern im Bilde vorführen und der eine der schönsten Zierden des Ortes ist. Ueber sechs Stufen gelangt man in die offene, von Säulen getragene Halle, wo zwei Brunnen das Thermalwasser darreichen. An jeden Flügel der Halle schliesst sich ein Wartesaal an und nach hinten in Form eines Trapezoids die Bäder, so dass in der Mitte ein Hof liegt, der zunächst von einem gedeckten und geschlossenen Gange begrenzt wird. Die Bäder selbst sind ganz nach dem Muster derjenigen des Hofes Ragaz eingerichtet, mit beständigem starkem Thermalwasserstrahl und Douche-Einrichtungen, einige sogar mit besonderen Vorzimmern und Ruhebetten versehen, so dass den verschiedensten Krankheitsgraden und Witterungsverhältnissen bestmöglich Rechnung getragen ist.
(Quelle: Die Alpenpost 1874)

Kurort Ragaz. Von den bedeutendsten Tummelplätzen der Kur- und Touristenwelt hat man den Winter über hin und wieder vernommen, dass selbe das Bestreben bethätigen, ihre Einrichtungen mit den gesteigerten Anforderungen des Zeitgeistes in Einklang zu bringen, neue Hotels, Bäder, Lokale zur geselligen Vereinigung, zu Concert und Theater etc. zu erstellen, bei allen diesen Neuerungen die feinste Nuance des Comforts zu erspähen und sie mit Raffinement zu verwerthen. So namentlich vom Genfer- und Vierwaldstättersee, vom Engadin und Berneroberland. Ueberall ist die Tendenz herrschend, den fremden Wanderzügen den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen, um selbe möglichst lange an den Ort und die Gegend zu fesseln. Wer wird sich wundern, dass auch unser Ragatz, das seit Bestehen der Simonschen Etablissements schon sich einen Weltruf gegründet – nicht stille stehen kann und will, sondern stetig an seiner Fortentwicklung arbeitet, um allgemach zu jener Höhe und Stärke auszuwachsen, auf welche eine zähe Energie und Weitsichtigkeit die Kur-Königinnen Baden-Baden, Wiesbaden, Interlaken etc. im Lauf der Zeiten gehoben haben. Ist auch das Ziel in die Ferne gerückt, so darf es einer Badortebevölkerung doch niemals unerreichbar erscheinen und muss scharf im Auge behalten werden, denn die Gaben der Mutter Natur Hand in Hand mit den Schöpfungen der Menschenhand, wie sie bei Ragatz in harmonischer Vermählung leuchten, erfüllen die Hauptbedingungen, die den Kurort diesen Zielen näher führen.
Kommen wir nach diesen einleitenden Worten auf dasjenige zu sprechen, was diesen Winter über zur Hebung und Verschönerung des Bades geschaffen wurde, so begegnen wir in erster Linie einigen Neubauten, die Herr Direktor Simon seiner grossartigen Hotelkolonie beigefügt hat; – es sind dies erstens zwei Villen im Styl norwegischer Landhäuser, die gegenüber der Façade des Hof Ragaz, unterhalb der Strasse nach dem Quellenhof stehen und deren jede 30 Betten aufnehmen wird. Wer die Wiener Weltausstellung gesehen, wird sich erinnern, eine solche Villa, bestimmt zur Aufnahme der norwegischen Fischergeräthschaften in der Gegend des Palastes der Jury bemerkt zu haben. Es ist wohl eine originelle und glückliche Idee, das schlichte schmucke Landhaus aus der Zone der Nordlichter herabzuholen und in einem milderen Himmelsstrich unter die Kastanien des eleganten Kurgartens zu versetzen. Es gereicht aber dem Scharfblick des Erbauers zur Ehre, aus der eminenten Mannigfaltigkeit der architectonischen Erscheinungen des Praterwunders gerade eine gehoben zu haben, die dem Charakter eines Gesammt-Etablissements angenehm sich anpasst – gleichzeitig verhindernd, dass in der Anlage desselben eine Monotonie der architektonischen Gestaltung eintrete. – Sodann hat Herr Simon an der Strasse nach Bad Pfäfers, ungefähr zur Hälfte des Weges, ein Gebäude errichten lassen zur Aufnahme einer Sommerrestauration, welche Neuerung sich gewiss als zweckdienlich und lohnend erweisen dürfte. – Drittens geschah – wohl mit dem Blick in eine weitere Zukunft – durch den Simon’schen Gärtner Werk die ausgedehnteste Anpflanzung von Obstbau-Alleen auf dem Gute Maletz gegen den Rhein hin, welche in späteren Jahren den Interessen des Eigenthümers auf zwiefache Weise zu dienen bestimmt sind, – einmal in ihrer dereinstigen Eigenschaft als schattige, lauschige Promenaden und im fernern durch den Ertrag ihrer fruchtbelasteten Aeste. Diese jungen Alleen dürften den Gesammtumfang von stark einer halben Stunde haben und werden als werthvolles Kapital der Zukunft der Augapfel der Kuranstalten sein.
Draussen am südlichen Ende des Simon’schen Areals, anlehnend an den nahen Steinbruch, liegt zirka 50 Fuss über dem Niveau der Thalsohle ein Fleck Erde, vorspringend von der Abdachung des Pizalun, etwas hinausgeschoben gegen das Thal, ähnlich der Rütliwiese klassischer Reminiscenz, – wie geschaffen, einer Idylle stilles Glück zu bergen. Diesen reizenden Punkt sammt umliegendem Waldgrund hat ein reicher Pariser erworben und darauf ein hübsches Landhäuschen – die Villa Balzan – erstellt. Hoch und malerisch mitten in die Laubwogen der Buchenwaldung hingezaubert, wird sie den Neid manches Beschauers, und wie zu wünschen, den Impuls zur Nachahmung beim Einen oder Anderen erwecken. Hr. Balzan ist der erste Curant, den die landschaftlichen Reize unserer Gegend in Allianz mit den gewählten Genüssen der Kur-Gesellschaft zu bestimmen vermochten, seiner Neigung, hier eine Hütte zu bauen, Gestalt und Leben zu verleihen. Willkommen sei er geheissen und jeder, der es ihm nachthut.
Wir kommen anlässlich dieser Mittheilungen noch auf eine Neubaute zu sprechen, die in ihrer Bedeutsamkeit für die Zwecke einer rationellen Kurindustrie wohl ein Ereigniss genannt zu werden verdient, – wir meinen den neuen Bahnhof. Schon seit Jahren tönen die Klagen an das steinerne Herz der Bahn-Administration in St. Gallen, die wohlbegründeten Beschwerden über den viel zu geringen Umfang der Räumlichkeiten des bisherigen Bahnhofs und deren spärliche Ausstattung, und endlich, durch die Einsicht der eisernen Nothwendigkeit bezwungen, beschliessen die Vereinigten Schweizerbahnen die Erbauung eines neuen Bahnhofes, der den Bedürfnissen einer in progressiver Steigerung begriffenen Frequenz nach allen Richtungen Rechnung zu tragen vermöchte. Zur Zeit sind die Erdarbeiten für den Bau in Angriff genommen. Der bezügliche Plan weist ein langgestrecktes, einstöckiges Gebäude mit einem zweistöckigen Mittelbau. Das Mittelgebäude öffnet durch drei imposante Bogen den Zutritt zur Kasse, wie zu den Wartsälen, die beiden Flügel je zu vier Bogenfenstern Front enthalten diese Letztern. Zu beiden Seiten schliessen sich dem Gebäude offene Veranden an, die mit einer gedeckten Einsteighalle in Verbindung stehen. Der ganze Bau wird im gefälligen Ensemble seiner Verhältnisse ebensowohl den Erbauer zur Ehre wie dem Kurort zur hohen Zierde gereichen. Wie man vernimmt, sollen Massregeln getroffen werden, dass mehrere Kreuzungen der Züge des Sarganser Bahnknotens hierher verlegt werden und die Reisenden nicht mehr dort, sondern in Ragaz Haltezeit erhielten. Auch dieser Umstand wird bezüglich der Aeuffnung des Verkehrs und Verdienstes von hochzuschätzender Bedeutung sein. Die Anlegung eines zweiten Schienengeleises bis Sargans soll der Ausführung dieses Vorhabens vorangehen. … (Oberl. Anz.)
(Quelle: Die Alpenpost 1874)