Archive for Februar 2012

 
 

Lokomotivführer bestraft mit Ohrfeigen

Auf den Artikel Ziegen stoppen Zug in Salez habe ich einige Zuschriften erhalten und möchte folgende Bemerkungen hiezu noch anbringen: Ich denke, der Lokführer hatte gut reagiert, Ohrfeigen waren zu verschmerzen, eine Geldstrafe hätte unnötigerweise grösseren Schaden angerichtet. Der Junge sah seinen Fehler ein und wurde dafür bestraft – der Heimweg an den vielen Frauen vorbei war vielleicht schlimmer.

Das damalige Zugpersonal wird übrigens in dieser Lebensgeschichte mehrmals liebenswert erwähnt:

…Der Stationsvorstand kannte mich wohl, aber er wusste auch, dass wir arme Leute waren und drückte ein Auge zu. Einmal stand gerade ein grosser, dicker Herr bei ihm, als ich mein Billet bestellte: “Oberriet retour”. Der Vorstand war auch sehr korpulent und fragte mich: “Ja, wie alt bist du?” “Nüni g’si”. Die beiden blinzelten einander lächelnd an. Ich war damals etwa 13 Jahre alt und hatte es schon gespannt, dass sie sich ein wenig belustigen wollten. Dann lächelte aber auch ich und sagte: “Es ist aber o nöd i dr Ornig, dass me dr Pris noch am Alter asetzt, es sött nochem Gwicht goo”. Bravo rief der Vorstand und beide schauten mich lieb an und lachten herzlich…

„… Einmal hatte ich meine Handschuhe einfach nicht mehr und wusste gar nicht, wo ich sie vergessen oder verloren habe. Als ich wieder mein Billet lösen kam, fragte der Vorstand ob ich nichts zu wenig hätte. “Jo woll d’Hendscha”. “Lueg do sinds” und gab sie mir. “Die sind jetzt d’Sangalle inne gsi. De Kundigtör heds bhönnt und hed gseit, die ghörend em seba chlina Büebli wo allemol vo Salez of Oberriet abi fahrt.” Ich war sehr froh, dankte und sagte noch dazu: “I wött i wär o drbi gsi”…

„… Der Stationsvorstand von Oberriet sass als alleiniger Gast am runden Tisch. Der kannte mich vom vielen Sehen und sagte: “Lueget jez chunt s’Salezer Büebli”. Die kleine dicke Wirtin kam herbei und fragte recht freundlich was ich wünsche. “E Pürli” und der Vorstand sagte “jo Büebli do muest no lang warte, sitz du no e chli ab” und zur Wirtin “gend ihm do e Gläsli Wii dass er cha verwarme, magst?”…

„… Schläge waren sich die Jungs doazmol gewohnt, hier ein Beispiel aus der Schule … weil andere Schüler – nicht alle – auch sehr oft körperliche Strafen erhielten, weil sie nicht zu antworten wussten. Vielleicht hat er (der Lehrer) nicht gewusst, dass man einem Gelehrsamkeit und Weisheit weder durch Hände noch durch die Haare oder den Hintern eingeben kann. In dieser Beziehung war er aber tatsächlich ein sehr geplagter Mann, denn es gab doch immerhin furchtbare Stöcke und Faulenzer, die ihm das Leben verbitterten.“…

Zwischendurch mal etwas Nahrhaftes

Die Fortsetzungsgeschichte des Fädler-Bubens geht nächste Woche weiter. Diese Woche wurde der Recherche alter Rezepte gewidmet.

Nach dem vielen Sauerkraut-Lesen musste heute einfach mal etwas Neues ausprobiert werden. Das Rezept für Schenkeli finden Sie auf www.doazmol-rezepte.ch .

Ein gluschtiges Fotos will ich nicht vorenthalten und ist somit hier publiziert:

Die reiche Baslerin

 

Episode 12 – „Gute Menschen“: (aus „kurze Lebensbeschreibung und Jugenderinnerungen“ verfasst von Christian Tinner, geboren 1880)

„In den Jahren meiner Jugend lebten in vielen oder allen rheintalischen und werdenbergischen Dörfern viele, viele Familien in Armut und bitterer Not. So auch wir. Von Sozialorganisationen, die da zu helfen suchten, weiss ich leider nichts. Aber es gab doch gute Menschen, die den Armen viel, viel Gutes taten.

Im Gasthaus zum Löwen in Salez wohnte die Familie Heinrich Dinner. Der Vater war viele Jahre beliebter und berühmter Gemeindeammann der politischen Gemeinde Sennwald. Da war auch das Postbüro, das zumeist von der Tochter verwaltet wurde. Sie besassen auch viel Vieh und eine Fuhrhalterei und auch noch eine Mosterei. Selbstverständlich dazu auch eine umfassende Landwirtschaft mit sehr viel Ackerbau. Dass die Familie nicht allein all dieses Gewerbe besorgen konnte, liegt auf der Hand. Sie beschäftigten also auch viele Arbeitskräfte. Aber trotz dieser weitschichtigen Inanspruchnahme hatten sie immer Zeit, wenn arme Frauen oder Kinder um Rat oder Tat suchten. Wie oft hörte ich meine Mutter sagen: „S’Gmeindamma Lisabeath (so nannte man die Frau Gemeindeammann) oder s’Leuewirts Kathrili (das war die Tochter) het mer no ihi grüeft, luegend was hani übercho“ und hatte gewöhnlich gekochte Speisen für uns oder Obst. Beide waren auch immer bereit, Sorgen und Kümmernisse armer Frauen und Kinder anzuhören und möglichst guten Rat und Trost zu geben. Sie waren wahrlich Mütter der Armen des Dorfes.

Es gab noch mehr gute Männer und Frauen im Dorf und nicht viel ausgesprochen „Geizige“.

Aber eine aufsehenerregende Begebenheit trat noch im Jahre 1890 ein. Der Herr Pfarrer Jakob Sonderegger, der gewiss schon fast 50 war, nahm sich eine „sehr reiche“ Baslerin seines Alters als Frau. Das gab Neuigkeiten!
Sie gründete eine Sonntagsschule für die Kinder der unteren vier Klassen. Sie besuchte während des Herbstes alle Familien der Pfarrei Salez-Haag und sah sich um, ob Mangel oder gar Not da wäre, ohne irgendwie aufdringlich zu sein. Wenn dann bald Weihnachten kam, trug sie abends bei Dunkelheit, möglichst ungesehen, grosse und kleinere Pakete in die Hütten der Armen. Es waren Kleidungsstücke aller Art. Alle Kinder, auch Erwachsene, die Mutter und oft sogar der Vater, erhielten etwas.

Einmal als wir, ohne den Vater, um den Tisch sassen bei Kaffee und geschwellten Kartoffeln, klopfte es an die Stubentüre. Meine beiden Brüder meinten, es sei ein Nachbarbube. Johann hatte eine gebrochene Stimme und bellte wie ein Hund, Andreas rief laut: „Herein, es wird wohl kein Gaisbock sein“. Da kam aber, so unverhofft, Frau Pfarrer mit einem grossen Paket herein. Wir waren ganz bestürzt, die Mutter sehr erschrocken und bat um Entschuldigung. Frau Pfarrer lächelte freundlich und übergab der Mutter das Paket. Sie hatte unsere Familie reichlich bedacht. An der Weihnachtsfeier erhielt ich neben anderen Sachen das Neue Testament von Dr. Martin Luther, welches später für mich noch eine gar nicht unwichtige Rolle spielte.

Nun kam also bald der Frühling 1891 und liess mich in die fünfte Klasse steigen. Damit wurde ich auch am Sonntag kinderlehrpflichtig und wir hatten auf jeden Sonntag einen Abschnitt aus dem Neuen Testament erzählen zu lernen. Das tat ich gerne und, da es bequemes Taschenformat war, nahm ich es oft mit beim Ziegenhüten. Wenn ich mit der Ziege allein war, las ich viel darin und weinte oft darüber, weil man es ihm so schlecht machte und ihn gar noch so unschuldig zum Tode verurteilte und kreuzigte, während er doch so viele Wohltaten getan hatte.

Ziegen stoppen Zug in Salez

 

Episode 11 – „Tummelplatz für Ziegen und Buben“: (aus „kurze Lebensbeschreibung und Jugenderinnerungen“ verfasst von Christian Tinner, geboren 1880)

„Wer heute von Salez nach Haag fährt mit der Bahn, sieht rechts eine breite Ebene und am Bergrand einige Dörfer: Frümsen, Sax, Gasenzen, Gams usw., das Saxerriet. Dieses war damals fast durchwegs Sumpfboden und mit Schilf und vielen anderen Sumpfpflanzen bewachsen.

Viele Landwirte aus den umliegenden Dörfern hatten da einzelne Parzellen zu Eigentum. Das bildete viele Jahre der Tummelplatz vieler Ziegen und Buben. Ich war mit unserer „Gais“ auch dabei. Wir Buben wussten von vielen Parzellen, wem sie gehörten. Wenn dann etwa so ein Besitzer kam, mussten wir die Ziegen hüten, damit sie nicht etwa in dessen Parzelle waren, sonst hätte er sie uns wegnehmen können. War er fort, so begann wieder das Spitzbubenleben: Jassen, Rauchen, Militärlen usw. Es ist einleuchtend, dass diese Zustände den Bauern nicht beliebten.

Die Dorfgemeinde besass in diesem Gebiet ein grosses Stück Boden, das von der Bahnlinie und einem Bach umfriedet war. Dieses wurde dann zur Verfügung gestellt, damit die Leute ihre Ziegen einem Hirten übergeben konnten, gegen Entgelt natürlich. Mein Bruder Andreas bewarb sich um diese Stelle, die für den ganzen Sommer mit 100 Franken bezahlt wurde. Es wurden ca. 100 Ziegen aufgegeben, die man jeden Morgen abholen, gegen Mittag wieder bringen, um 4 Uhr abholen und abends wieder bringen musste. Das war aber eine schwere Aufgabe. Ziegen gehen eben nicht miteinander wie Schafe, sondern jede springt nach eigenem Befinden vorwärts, rückwärts, links oder rechts und wo immer möglich in Mais-, Bohnen- und Gemüsefelder hinein.

Meinem Bruder verleidete das Hirt-sein, er streikte einfach. Weil aber der Vater für die Durchführung verantwortlich war, musste ich einspringen und bis Ende durchhalten. Für mich war das noch schwerer, weil ich viel schwächer und jünger war. Es waren noch zwei starke, behornte Ziegen dabei, die sich von mir nicht jagen liessen, sondern immer ein Stück hinten drein liefen. Wollte ich sie treiben, so putschten sie mich mit ihren Hörnern zu Boden. Es ging viele Tage bis ich ihnen mit meinen verschiedenen Stöcken den Mut gekühlt hatte.

Einmal war ich während dem Hüten bewusstlos geworden. Innert dieser Zeit sprangen eine Anzahl über den Bahngraben auf das Geleise. Da kam ein Güterzug und pfiff und pfiff immer wieder. Ich kam zu mir und sprang ebenfalls hinüber, um sie weg zu jagen. Die Ziegen aber sprangen ein grosses Stück immer im Geleise vor der Lokomotive her. Als dann eine Barriere kam, hielt der Zug an. Lokomotivführer und Heizer kamen heraus, halfen mir die Ziegen auf die Strasse hinausjagen und gaben mir mehrere zünftige Ohrfeigen. Das sei besser als eine Strafanzeige. Bis ich meine Dutzend Ziegen wieder im hinteren Rossmaad bei den anderen hatte, habe ich von den auf ihren Feldern arbeitenden Frauen noch vieles vernommen.

Brand-Herd

 

Episode 10 – „Brand-Herd“: (aus „kurze Lebensbeschreibung und Jugenderinnerungen“ verfasst von Christian Tinner, geboren 1880)

„Aus dem Sticklokal hatten die Eltern einen Teil durch eine Wand abgegrenzt und ein kleines Stübchen gemacht. Von diesem aus war ein Fensterchen gegen die Küche angebracht. Gerade hier war in der Küche der Holzherd gestellt.

Es war wieder einmal an einem schönen Sonntagmorgen, etwa 1888, als die Eltern und meine Geschwister eine kleine Reise unternahmen, und ich musste daheim bleiben bei unserer lieben Milchspenderin Ziege. Ich sorgte gut dafür, dass sie nicht Hunger und Durst leiden musste. Aber ich suchte auch für mich etwas Gutes zu machen. Es war wohl etwa halb zehn Uhr, ich beabsichtigte „Pätsch“ (ist ungefähr Omelette) zu machen.

Also: Ich mache Feuer, tue die Bratpfanne darauf und ordentlich Fett hinein, denn es soll gut werden. Dann nehme ich zwei Eier, ein Beckeli voll Mehl, etwas Salz und eine grosse Kachel und gehe zum Tisch in die Stube mit diesem Zeug und schwinge alles gut untereinander. Den Rücken habe ich gegen das Küchenfenster. Plötzlich sehe ich, dass an der anderen Wand sich immer etwas bewegt, das man nicht halten kann, ein Schatten. Ich kehre mich um und erschrecke grausig, denn in der Küche ist vom Herd gegen die Diele ein hohes Feuer.
So rasch wie nur möglich springe ich hinaus, nehme die brennende Pfanne und werfe sie, ohne zuerst das Fenster zu öffnen, auf die Strasse hinaus. Es kamen gerade eine Schar Leute aus der Kirche. Ich sah, wie sie stutzten, aber es kam niemand zu sehen, was los wäre. Mit meinem Mittagessen war es also nichts, denn ich konnte den Teig nicht kauen und nicht schlucken.

Um vier Uhr liess ich die Ziege wieder los und ging mit ihr nach dem Saxerriet, wo sie sich wieder satt fressen konnte. Aber ungern kehrte ich abends mit ihr Heim – es musste doch etwas meiner warten. Am Abend merkte es noch niemand, aber als am Morgen die Mutter Rösti machen wollte, war die Pfanne ganz durchlöchert und das Fenster zerschlagen. „Was hets do geehn?“ Es fiel mir gar nicht ein, etwas zusammen zu lügen, denn jenes Erlebnis beim Götti vergass ich nicht. Ich erzählte also gerade klipp und klar was geschehen war und wartete darauf, dass der Vater den Gurt abtun und mich über die Knie nehmen werde. Aber nicht das geschah. Der Vater sagte: „Das ist s’Gschidst gsi was hest chönna toan, s’Fenster chamma wieder macha und a Pfanna chamma o wieder choofa, aber wenn s’Hüüsli abbrännt wär, hetend mör en grossa Schade“. Nun war mir wieder wohler und mein Eifer ihm fleissig zu fädeln, wuchs nicht wenig an.“