Kriechend in die Kristallhöhle

Anlässlich der Recherche zu Doazmol Band 6 über die Berggänger damals im Alpstein entdeckten wir in den historischen Reisebeschrieben einige Passagen zu den Regionen im Rheintal. Eine weitere Kostprobe:

(Textauszug gefunden in „Archiv kleiner zerstreuter Reisebeschreibungen durch merkwürdige Gegenden der Schweiz“, Zweyter Band, 1802, St. Gallen Huberische Buchhandlung)

Auf wiesigem Grund kamen wir nun immer mehr abwärts, nach einem Fichten-Wald, an dessen Ende die bekannte Crystallhöhle liegt. Wir standen im Vordergrunde derselben, und berathschlagten, auf welche Weise wir wol Feuer bekommen könnten, um den dunkeln Schlund zu beleuchten, durch welchen wir hinabwollten.
Auf einmal hörten wir von unten herauf ein dumpfes Geräusch, es kam immer näher, und endlich schlüpfte der Höhlung ein kriechender Mann mit einem kleinen Licht, welcher seit mehreren Stunden unten gewesen, und verschiedene Crystalle zusammengesucht hatte.
Kein glücklicherer Zufall hätte uns begegnen können; wir baten ihn den Weg noch einmal anzutreten, über 30 Schritte lang krochen wir ihm rücklings nach:
Wir standen nun in einem nicht gar grossen Gewölbe, neben unsern Füssen rauschte ein kleines Wasser, welches aus einer tiefern Wölbung hervor kam, wir schritten in dieselbe hinein; hie und da blitzte beym Schimmer des Lichts ein kleiner Crystall, es war indessen nicht ganz das, was unsere Phantasie sich davon vorgebildet hatte. Die Tropfsteine aus Mondmilch, welche man weiter hinten findet, reizten unsere Neugierde eben so wenig, zumahlen, da unser Beleuchter für die Kürze seines Lichtes fürchtete; wir besuchten daher nach kurzem Aufenthalt, den Tag wieder, ob wir gleich uns überzeugten, dass ein Mineralog vielleicht manches, seiner näheren Untersuchung würdiges, in dem hintern Gange, der nach einiger Meinung noch sehr lang seyn soll, finden würde.

“Damals im Alpstein” (Doazmol Band 6) erscheint Ende Juni 2015 und kann bereits jetzt gerne vorbestellt werden. Der hier präsentierte Text ist nicht im Buch enthalten, stattdessen jedoch die begeisterte (und detailliertere) Schilderung eines anderen Autoren, welcher die Kristallhöhle unter Führung des damaligen Wirtes und Bademeisters von Kobelwiesbad unternahm. (Textauszug aus demselben Buch)

Von alten Wegen und Stegen

(Teil 2 der vierteiligen Artikelserie zum Thema Verkehrswege)

Auszug aus dem Appenzeller Kalender Ausgabe 1914, Autor Sal. Schlatter:
Saeumerzug Gais

In der Schule hörten wir als Kinder immer mit besonderem Vergnügen von der Völkerwanderung erzählen, wie da aus dem Norden ein grosser Heerzug kam, voraus die blonden Krieger, hoch zu Ross, dann die endlose Reihe der Wagen, mit knarrenden Rädern aus einem dicken Brett, überdeckt mit einem groben leinenen Tuch, unter dem sich auf Bärenhäuten die Kinder kugelten und der Hausrat lag, gezogen von starken Ochsen. Wie in der Nacht die Wagenburg aufgestellt und die Lagerfeuer angezündet wurden, und wie mit starker Faust das Land erobert und die Römer und Ureinwohner entweder getötet, vertrieben oder unterjocht wurden. Wie sich die allemannischen Schaaren dann allmälig in unsre Bergtäler hinein verteilten, den Wald rodeten und brannten, das Strauchwerk „schwendeten“ und so den Anfang zur Wohnlichmachung unserer Voralpengegenden machten.
Im Ganzen und Grossen stimmt dieses Bild auch, soweit diese Schaaren durch flachere Gegenden oder auf den von den Römern in vielhundertjähriger Kulturarbeit angelegten Heerstrassen ziehen konnten. Diejenigen aber, die sich unsre Appenzeller Täler und Höhen, das Toggenburg und andere ähnlich gebirgige Gegenden zu ihrer neuen Heimat erwählten, die mussten schon etwas bescheidener einziehen. Da führten nirgends schöne Römerstrassen hinein. Dichter Wald und wildes Gestrüpp deckte noch den grössten Teil des Landes, höchstens ein paar schmale Fuss- und Viehpfade wanden sich mühsam hindurch. …

… [im Jahr 614] … Es muss also schon damals ein Weg über die Saxerlucke bekannt gewesen sein und offenbar als direkte Verbindung vom Oberland, vielleicht auch vom Arlberg und Chur nach Konstanz gedient haben. Es ist überhaupt das merkwürdige für uns, dass die alten Wege fast überall die Täler mieden und über Gräte und Sättel führten. Sie suchten einerseits die kürzeste Linie von einem Ort zum andern, unbekümmert um die Bequemlichkeit, andrerseits vermieden sie die steilen Abhänge und Talwände wegen ihrer Gefährlichkeit und die Talgründe wegen den noch oft vorhandenen Sümpfen und Ueberschwemmungen. Die bequemste Linie, ohne starke Rücksicht auf die natürlichen Schwierigkeiten, zu suchen, blieb erst der technisch geschulten Neuzeit vorbehalten. …

… ein regelmässig reger Verkehr entstand. Dieser brauchte Wege. Zwei starken Motiven entsprang dieser Verkehr und mit ihm das Verlangen nach Wegen: dem religiösen Bedürfnis und dem Handel. … So entstanden Kirchenwege, auf denen nicht nur der gewöhnliche Kirchgänger und der Priester auf dem Versehgang, sondern auch Prozessionen und Leichengeleite ziehen konnten. Der Handel war noch klein und auf wenige Gegenstände des täglichen Bedarfes beschränkt. Noch sorgte das Haus für das meiste selbst. Den Hafer zum täglichen Habermus und die Brotfrucht pflanzte man neben Rüben und Gemüse auf dem eigenen Acker. Die Kleidung spann und wob man aus dem eigenen Flachs und Hanf und aus der Wolle der Schafe. Das Haus und die notwendigen Geräte erstellte man sich eigenhändig oder mit Hülfe der einheimischen Handwerker. So musste nur das eingeführt werden, was das Land nicht selbst erzeugte, vor allem Eisen und eiserne Werkzeuge und Waffen, Salz, Wein, etwas Spezereien und dergleichen. Ausgeführt wurden dagegen die überschüssigen Landesprodukte, Käse, Honig, Häute, Flachs und bald auch Garn und Leinwand.

Aller dieser Verkehr aber geschah durch viele Jahrhunderte ausschliesslich zu Fuss oder zu Pferd, und die Warenbeförderung entweder auf dem eigenen Rücken oder auf demjenigen des Saumtieres. Dementsprechend waren die Wege entweder einfache Fusswege, … oder Saumpfade. Diese waren noch sehr wenig kunstgerecht angelegt, über Stock und Stein geführt, ohne Seitengraben. Die scharfen Hufeisen der Tiere hieben den Grund auf, die Wasser schwemmten ihn zu Tal, so dass die Wege im Lauf der Jahrhunderte zu tiefen Rinnen, richtigen Hohlwegen wurden, so tief, dass an manchen Stellen der Reiter auf seinem Pferd kaum über die hohen Ränder wegsah. Sumpfige, grundlose Stellen waren etwa mit runden Prügeln belegt. Prügelsuppen nannten wir als Kinder die letzten noch vorhandenen Reste. An steilen Stellen wieder waren sie mit unregelmässigen Steinplatten gepflastert, was zwar solid und haltbar war, aber keineswegs sehr angenehm zu begehen. …

Diese äusserst primitiven Verkehrsverhältnisse hatten ihre zwei Seiten. Sie verschlossen das Land gegen feindliche Angriffe und … machten seine Bewohner zu ausgezeichneten Fussgängern. … Es gewöhnte sie daran, grosse Lasten auf dem eigenen Rücken zu transportieren. … Sie erleichterte auch die Besiedlung der mühsamsten Höhen und der entferntesten Tälchen, wer auch von Dorf zu Dorf nicht bequem kutschieren konnte, dem machte es wenig aus, noch eine halbe Stunde weiter zu gehen.

… Die Schattenseiten zeigten sich allerdings ebenfalls, je weiter die Zeiten fortschritten, um so mehr. Als sich das Land vom 16. Jahrhundert an immer mehr der Weberei und dem Handel zuwandte, war die Ausfuhr der Fabrikationsprodukte sehr mühsam. Und als sich die Arbeit im Webkeller und in der Schreibstube gar lohnender erwies, als der Ackerbau, so dass dieser immer mehr zurückging, da kamen erst die Schwierigkeiten. Die Einfuhr des ganzen Bedarfes an Korn zu Brot bedurfte doch besserer Wege, und manche schwere Hungersnot hing mit dem Mangel derselben zusammen. Und dennoch musste der Anstoss zur Verbesserung von aussen her kommen.

(Fortsetzung folgt)

Sebastian Buff im Appenzeller Kalender



Monatsbild April im Appenzeller Kalender 1889

Monatsbild April von SB im Appenzeller Kalender 1889

Monatsbild Juli von SB im Appenzeller Kalender 1889

Monatsbild Juli von SB im Appenzeller Kalender 1889


Zitat einer 1925 in Frümsen geborenen Nachfahrin: „Sebastian Buff war ein Onkel meiner Grosstante. Seine Eltern hatten ein Restaurant in Rehetobel, in welchem meine Grosstante als Kind ihre Ferien verbringen durfte.“ Sebastian Buff (1829-1880) konnte dank eines Gönners nach dem 3jährigen Malunterricht bei Leonhard Tanner in St. Gallen die Kunstschule in München besuchen. Er betätigte sich vor allem als Porträtist und Kopist, befasste sich aber auch mit Genremalerei.

Berechnungsfehler anderer Kalender bewogen Johannes Tobler aus Rehetobel ab 1722 seinen eigenen „Schreib-Calender“, den späteren Appenzeller Kalender, herauszugeben. Ab 1764 enthielt der Kalender auch Abbildungen. Die noch heute gegenwärtigen Bilder am Kopf des jeweiligen Monatsblattes werden seit 1769 verwendet. Sie verbinden das Monatszeichen (Wassermann, Fische, Widder usw.) mit einem Heimatmotiv.

„Sebastian Buff war ein Künstler. Von ihm stammen die Illustration der Titelseite (der Kranz) und zwei Monatsbilder, welche auch heute noch im Appenzeller Kalender abgebildet werden.“
Der Kranz erschien erstmals in der Kalenderausgabe 1867, wurde dann auf Erscheinen der Ausgabe 1913 modernisiert. Die beiden von ihm geschaffenen Monatsbilder wurden erstmals 1869 (Juli-Löwe) resp. 1872 (April-Stier) eingesetzt und sind auch heute noch in Verwendung.

Das April-Bild stellt das händische Güllen eines Feldes dar: Die Gülletrugge (Holzkiste mit zwei Rädern) wird von einem Pferd gezogen und der Bauer verwirft die Gülle mit einem Schöpfer auf dem Feld.
Das Juli-Bild hat das Heuen zum Thema: Sense dengeln, Heu zusammenrechen und auf dem Buckel zum Stall tragen.

Klettern in den Kreuzbergen

Christian Buchholz aus Moormerland hat eine eindrückliche Sammlung an historischen Fotos, Ansichtskarten und Berichten zusammengestellt und besitzt ein profundes Wissen u.a. über die Ostschweizer Bergwelt. Ich freue mich, dass er auf Doazmol einen Teil seiner grossartigen Sammlung mit uns teilt. Freuen Sie sich mit. Siehe Link Klettern in den Kreuzbergen

Auf dem Grat des ersten Kreuzberges um das Jahr 1920. Fotograf: Jean Gaberell (1887-1949), Thalwil, Nr. 5160

Auf dem Grat des ersten Kreuzberges um das Jahr 1920. Fotograf: Jean Gaberell (1887-1949), Thalwil, Nr. 5160

alte Felsnägel

Diese Woche ist alten Bildern, Berichten und Kunstwerken aus dem Alpstein gewidmet.
Hier folgt eine Textzusammenstellung, über das, was die alten Bergretter zur Entwicklung des Kletterns in den Kreuzbergen ausgesagt haben.

Alte Felshaken, herausgeschlagen in den 90er Jahren bei der Sanierung der alten Kletterrouten in den Kreuzbergen

Alte Felshaken, herausgeschlagen in den 90er Jahren bei der Sanierung der alten Kletterrouten in den Kreuzbergen

Ganz früher ist wohl mal ein Geisshirt, ein Jäger, Edelweisssammler oder auch ein neugieriger Schulbub auf den Kreuzbergen herum geklettert. Ohne Haken, ohne Seil, ohne Kletterpartner.

Die offizielle Erstbesteigung der Kreuzberge erfolgte dann von Brülisau aus durch Carl Egloff und den Appenzeller Schlossermeister Johann Nänny 1893. Geklettert wurde damals in Nagelschuhen oder barfuss und mit Hilfe eines Pickels. Es wurden noch keine Felshaken zur Zwischensicherung benutzt, diese schon gar nicht als Kletterhilfe zur Fortbewegung verwendet. Das eventuelle Hanfseil wurde nur an schwierigen Stellen umgebunden. „Die ersten Haken sind zum Abseilen verwendet worden.“

„Lange waren einige Gipfel der Kreuzberge unbestiegen und Wände noch nicht bezwungen. Dies machte sie weitherum bekannt.“ „Die Kreuzberge waren berüchtigt gewesen, es kamen viele Auswärtige zum Klettern, einige sind auch verunfallt.“

„Ende 30er anfangs 40er Jahre bediente man sich der Mauerhaken und Karabiner zum Sichern. Die einen haben sich aber auch daran festgehalten, hochgezogen oder die Haken als Steighilfe benutzt.“ Die Möglichkeiten des Anbringens der Mauerhaken waren nur bedingt möglich, es benötigte einen Riss im Felsen, in welchen man den Haken eindengeln konnte. Der Vorangehende hämmerte die Haken in den Fels, hängte das Seil mittels Karabiner ein und der Nachkommende schlug diese zur Wiederverwendung wieder heraus. „Die Haken wurden aus Geldmangel von einigen selber geschmiedet, andere liessen sie wohl vom Dorfschmied herstellen.“ Bevor Karabiner und Klettergurte erfunden waren, wurden Ringhaken verwendet: Die Kletterer hatten das Seil um den Bauch geknüpft. Um sich am Ringhaken zu sichern, mussten sie sich ausbinden, das Seil durch den Ring fädeln und dann wieder einbinden. Mittels dieser Kletterhilfen konnten bisher noch nicht durchstiegene Wände bezwungen werden. „Das Schlagen der Hämmer war weitherum zu hören.“ „Viele dieser Felshaken blieben während Jahrzehnten in den Wänden.“
Dieses technische Vorgehen war bei vielen Bergsteigern der älteren Generation ziemlich verpönt und wurde als ‚alpine Schlosserei‘ beschimpft, welche ’nichts mit Bergsteigen zu tun habe‘.

In den 50er Jahren wurden dann auch Bohrhaken verwendet, „damals wurde noch von Hand gebohrt“. „Die schwierigen Wände reizten viele Kletterer und so waren häufig mehrere Seilschaften unterwegs. Es kamen auch viele Anfänger, denn die Berge hatten ja schon Sicherungen drin.“ „Es gab einige Unfälle.“ „Als wir bei der Schutzhütte auf der Roslen noch keinen Funk hatten, musste einer zur Bollenwies runter, um die Rettungskolonne Sax zu alarmieren.“

Gipfelstürmer in den Kreuzbergen 1943

In den dreissiger und vierziger Jahren entwickelten sich die Kreuzberge zum Tummelplatz von Spitzenalpinisten. Der Klettersport trug allerdings noch einen ganz anderen Charakter. Felswände mit genagelten Bergschuhen, mit schweren Hanfseilen und ohne Klettergurt zu besteigen, bedeutete eine Leistung, die noch heute Bewunderung erheischt. Erst allmählich begann sich der Gebrauch von eisernen Hacken und Karabinern zu verbreiten, was einer Revolution gleich kam.

Mit Erlaubnis des Landesarchivs Appenzell , hier der Link zu einem Ausschnitt des 1943 produzierten Dokumentarfilms der Schweizer Wochenschau über das Klettern in den Kreuzbergen: www.zeitzeugnisse.ch (unterhalb des Bildes auf „Video abspielen“ klicken)

Das Dorf brennt

 

Episode 7 – „Brand in Rüti-Moos“: (aus „kurze Lebensbeschreibung und Jugenderinnerungen“ verfasst von Christian Tinner, geboren 1880)

Die folgenden Schuljahre gingen ihren Lauf. Ziegen hüten, Schule gehen, fädeln und seltener irgend eine andere Arbeit. Im Jahre 1890 musste ich jede Woche nach Sennwald zu nahen Verwandten als Fädlerbub gehen und auch „Kindsmagd“ sein. Die Frau war die jüngste Schwester meiner Mutter; sie und ihr Mann hatten viel bösen Streit.

Am Eidg. Bettag 1890 brannte bei heftigem Föhn Rüti-Moos. Als ich dann am Montag nach Sennwald kam, sagte die Tante: „Soa, du chast jez gaad of Rüti ei go dr Frei sueche, er ist am Samstig of Altsteta ei go dr Zahltag hola und ist äll no nöd haa cho. Jez wird’r woll z’Rüti un sii und s’Geld versoffa ha, de Glünggi.“
Ich war barfuss und nur mit Hose und Hemd bekleidet. Das ganze Dorf Rüti lag in dickem Rauch und grossem Unglück. Wenige Meter von verbrannten Häusern sah ich jammernde Frauen mit ihren Kindern in Wiesen unter Bäumen.
Bei den Feuerwehren sah ich auch meinen Vater mit rauchverröteten Augen und ermüdet; sie hatten am Bettag die ganze Nacht und auch noch den langen Morgen gearbeitet.
Den Vetter Frei aber fand ich nicht.

Oberriet retour als Schwarzfahrer

 

Episode 4 – Der kleine Fahrgast: (aus „kurze Lebensbeschreibung und Jugenderinnerungen“ verfasst von Christian Tinner, geboren 1880)

„Etwa von 1889 an, da ich ein ganz kleiner Bube war, musste ich fast jede Woche mit fertigen „Sticketen“ zu unserem Fabrikant Walt nach Eichberg gehen und wieder neue Aufträge holen. Der Sack auf meinem Rücken war gewöhnlich fast so gross und so schwer wie ich selbst. Ich ging zwar meistens gerne, denn ich konnte jeweilen mit der Bahn fahren. Man schickte mich, weil ich um die halbe Taxe fahren konnte. Das war zwar nicht ganz in Ordnung, denn von 1890 an hätte ich als Zehnjähriger die ganze Taxe zahlen müssen. Aber der Vater sagte mir, wenn ich gefragt werde wie alt ich sei, solle ich nur sagen „nüni g’si“. So wurde es auch wohl etwa 4-5 Jahre gemacht und ich bin in jener Zeit auch kaum etwas gewachsen.

Der Stationsvorstand kannte mich wohl, aber er wusste auch, dass wir arme Leute waren und drückte ein Auge zu. Einmal stand gerade ein grosser, dicker Herr bei ihm, als ich mein Billet bestellte: „Oberriet retour“. Der Vorstand war auch sehr korpulent und fragte mich: „Ja, wie alt bist du?“ „Nüni g’si“. Die beiden blinzelten einander lächelnd an. Ich war damals etwa 13 Jahre alt und hatte es schon gespannt, dass sie sich ein wenig belustigen wollten. Dann lächelte aber auch ich und sagte: „Es ist aber o nöd i dr Ornig, dass me dr Pris noch am Alter asetzt, es sött nochem Gwicht goo“. Bravo rief der Vorstand und beide schauten mich lieb an und lachten herzlich.

Einmal hatte ich meine Handschuhe einfach nicht mehr und wusste gar nicht, wo ich sie vergessen oder verloren habe. Als ich wieder mein Billet lösen kam, fragte der Vorstand ob ich nichts zu wenig hätte. „Jo woll d’Hendscha“. „Lueg do sinds“ und gab sie mir. „Die sind jetzt d’Sangalle inne gsi. De Kundigtör heds bhönnt und hed gseit die ghörend em seba chlina Büebli wo allemol vo Salez of Oberriet abi fahrt.“ Ich war sehr froh, dankte und sagte noch dazu: „I wött i wär o drbi gsi“.

Diese Fahrten waren mir ein Vergnügen. Aber der Marsch durch das breite Tal nach Eichberg, den schweren Sack auf dem Buckel, war schon das Gegenteil. Besonders schlimm war es im Winter. Ich war zudem immer schlecht gekleidet: Zwilchhosa, e Hempli, e Brosttüechli und en Tschoppa, e glismeti Zipfelchappa zom über s’Gsicht abe stropfa as no no s’Mul und d’Schnodernasa usa glueget hond. Strümpf und Schue vo dr Muetter.
Wenn es Pflutsch hatte, war ich jeweilen sehr schlimm dran. Einmal als ich ganz durchnässte Strümpfe und Schuhe hatte und fror und gar sehr hungerte, wagte ich es bei meiner Rückkehr in Oberriet in jene Wirtschaft beim Bahnhof hinein zu gehen, um ein Bürli für fünf Rappen zu kaufen. Der Stationsvorstand von Oberriet sass als alleiniger Gast am runden Tisch. Der kannte mich vom vielen Sehen und sagte: „Lueget jez chunt s’Salezer Büebli“. Die kleine dicke Wirtin kam herbei und fragte recht freundlich was ich wünsche. „E Pürli“ und der Vorstand sagte „jo Büebli do muest no lang warte, sitz du no e chli ab“ und zur Wirtin „gend ihm do e Gläsli Wii dass er cha verwarme, magst?“ „Jo gern, i danke vielmol“. Die Wirtin hiess mich Schuh und Strümpf ausziehen, sie wolle sie trocknen und gab mir Finken, um die Füsse zu erwärmen. Sie sagte dann auch noch, wenn ich jeweilen lang warten müsse und friere, solle ich nur herein kommen, ich müsse nichts bestellen und zahlen, für e soa Büebli habe sie schon Platz genug.

Der Fädler-Bub brilliert in der Schule

 

Episode 3 – Der erste Schultag: (aus „kurze Lebensbeschreibung und Jugenderinnerungen“ verfasst von Christian Tinner, geboren 1880)

„Mein Vater hatte also eine 6/4 Handstickmaschine. Schifflistickmaschinen gab es damals noch nicht. Wie meine älteren Geschwister musste auch ich fädeln lernen und brachte es schon im Alter von 4 Jahren auf eine ordentliche Fertigkeit. ….. Wir Geschwister fädelten also, man könnte sagen, fast um die Wette. Ganz besonders meine um 5 Jahre ältere Schwester Anna war sehr froh um meine Mithilfe, während der älteste Bruder Johann sehr oft schon als Schulknabe auf der Stickmaschine stickte „wie ein Grosser“. Der Vater war eben oft abwesend als Spengler arbeitend und brachte über seinen eigenen Unterhalt hinaus wenig für uns auf.
Nach mir kamen noch mehrere Geschwisterchen, von denen nur das anno 1885 geborene Mädchen Ursula „davon kam“, während vier oder fünf tot zur Welt kamen oder nur wenige Stunden lebten. Es geht daraus hervor, dass eben die Mutter oft „krank“ war, so dass Anna das Hausmütterchen zu spielen hatte. Sie war, trotz aller Not, ein ausserordentlich gesundes, starkes Mädchen und liebte Ordnung und Reinlichkeit in überaus mustergültiger Weise. Sie wusch und „strählte“ uns Buben und stellt uns auch auf robuste Art „in den Senkel“. Das gab manches „Familienfest“.

Mein erster Schultag im Mai 1886 bleibt mir noch im Gedächtnis. Von 1-4 Uhr war Schule für die ersten 4 Klassen. Wir waren also tief „beschäftigt“ mit Bölleli und Strichli machen. Ich hörte allerdings mit Interesse auch den älteren Schülern zu. Die vierte Klasse hatte gerade Kopfrechnen. Da war ein grosser Hans dabei, den der Lehrer fragte: „Hans, was ist 17 und 17?“ In weinerlicher Stimmung erfolgte zuerst „17 und 17 = 17“, dann noch weinerlicher „17 und 17 = 7“. „Dumms Züüg!“ war die Antwort des Lehrers.
Ich rief mit meinem dünnen Stimmchen laut „17 und 17 = 34“. Der Lehrer sprang vor: „Wer het do grüeft“. Alle Erstklässler zeigten auf den Fehlbaren. „So du? Chomm emol do füra“. Mir ward Angst. Der Lehrer stellte mich auf seinen Stuhl und rief: „Hans chomm au do füra“. Dann sagte der Lehrer: „So Christeli sägs jez em Hans lut i d’Ohre’n ina“. Ich sagte es laut. Nachher fragte mich der Lehrer „Wieso weisst du das?“ „Jo, i moss halt fädla, en Topf het 17 Nodla, zwe Töpf hond 34, drei Töpf onaföfzg Nodla, i woass no mea.“
Der Lehrer lachte nicht, er machte ein ernstes Gesicht, gab mir einen „Föfer“ und sagte: „So, so, du bist au so en’arms Fädlerbüebli“.

Einsturz der Brücke in Salez

 

Episode 2 – Als die Brücke zwischen Salez und Haag auf ihre Tragfähigkeit getestet wurde: (aus „kurze Lebensbeschreibung und Jugenderinnerungen“ verfasst von Christian Tinner, geboren 1880)

„Selbstredend mussten über den (neu erbauten Werdenberger Binnen-)Kanal auch Brücken erstellt werden, die dann auf ihre Tragkraft geprüft wurden. So erinnere ich mich noch lebhaft an die Prüfung der Kanalbrücke zwischen Salez und Haag, die etwa 500 m von Vaters Häuschen weg war. Der ersehnte Tag war da. Viele, viele Kiesfuhrwerke fuhren heran. Sie wurden mitten in die Brücke gestellt, die ganze Breite und Länge besetzt. Der etwa 12-15 m breite Kanal führte mehr als metertief scharf fliessendes Wasser. Schwarz befrackte Herren kletterten ausserhalb an den eisernen Brückenbalken herum und massen und massen.

Was sehe ich? Ich werde gewahr, dass in der Mitte der Brücke erst ganz langsam die Kiesfuder sich zu bewegen beginnen, dass ganz langsam sich die Brücke senkt, die äusseren Wagen fangen auch an, sich zu bewegen, die inneren schneller, von beiden Seiten her fahren sie in die Mitte und übereinander, die Brücke bricht. Die dicken eisernen Balken sind gekrümt wie „Türggebengel“ und ragen ins Wasser hinunter. Dort unten sehe ich einen Herrn, der halb im Wasser hängt, eingezwängt ist zwischen Eisenbalken, die Kanalwellen spielen lustig mit den Flügeln seines Frackes, er aber ruft um Hilfe. Man weiss nicht in welchem Augenblick sich die Wagen weiter in Bewegung setzen könnten und so ist gewiss zu sagen, dass es beherzte Männer waren, welche den Verletzten aus der Situation retteten.

Einige Minuten später sah ich einen Trupp Männer, darunter auch mein Vater, welche einen befrackten Herrn umringten, packten und in den Kanal hinein zu werfen drohten. Das war der für den Brückenbau verantwortliche Ingenieur, Herr Wey. Die Sache bekam ein gerichtliches Nachspiel, dessen Verlauf und Ergebnis mir nicht bekannt ist.

Mich interessierte mehr, dass wir dann nachher auf der Abbruchstelle Eisennieten suchen und um einige Rappen abgeben konnten.“