I wüsch dr Glück

 

Episode 17 – „Walz“: (aus „kurze Lebensbeschreibung und Jugend-erinnerungen“ verfasst von Christian Tinner, geboren 1880)

„Mein Bruder berichtete nach Hause, er hätte für mich eine Stelle als Gärtnerlehrling gefunden. Ich müsse drei Jahre Lehrzeit durchmachen aber kein Lehrgeld bezahlen und hätte Kost und Logis frei. Ich müsste aber sofort antworten und baldmöglichst eintreten. Ich dachte, wenn ich eine gesunde Arbeit im Freien habe und besser und genug zu essen bekomme, bessert sich mein Leiden vielleicht bald. … Im Einverständnis mit den Eltern schrieb ich an Johann, dass ich am nächsten Sonntag mit dem Zug X in St. Gallen eintreffen werde.

Meine „Reisevorbereitungen“ erforderten sehr wenig; die Wäsche und Kleider gaben nur ein Päckli, das ich sehr gut in den Personenwagen neben mir mitnehmen konnte. Der Vater kam mit mir auf die Station und löste „St. Gallen einfach“ sonst konnte er mir nichts geben, als „i wüsch dr Glück“.

Es war ein wunderschöner Sommersonntag und ich hatte ordentlich Stolz, dass ich eine so grosse Reise machen durfte und bewunderte Mal links, das andere Mal rechts, das schöne Rheintal und die vielen Dörfer, deren Namen ich noch aus der Primarschule fast alle wusste. Es kam mir dann aber auch noch in den Sinn, erzählen gehört zu haben, vor Rorschach rufe jeweils der Kondukteur „Rorschach, sitzen bleiben, Zug fährt in Hafen“. Wohl dachte ich, dass es sich um den Bodensee handeln muss, aber ich hatte doch keinen Begriff, wie dieser „Hafen“ aussehen werde.

Die Fahrt dem See entlang versetzte mich in tiefes Staunen.“Jez hani gmont i hei en groassa Sea gsea woni de Werdeberger Sea gsea ha, aber ena ist gad nünt a der ei“ sagte ich für mich selbst.

Plötzlich ertönte es: Rorschach, sitzen bleiben, Zug fährt in Hafen. So nahe dem See entlang, ich meinte fast er müsste hinein fallen. „Rorschach-Hafen, St.Gallen sitzen bleiben. Wie war da ein Gewirr von Leuten. So etwas hatte ich noch nie gesehen, als beim Ausflug der Realschule nach Zürich. Aber der „Hafen“? Einen solchen Hafen hatte ich mir nicht vorgestellt, eine hohe lange Bogenmauer in den See hinaus und innerhalb derselben wimmelte es von „Gondeli“. Aber das Grossartigste waren eben die langen grossen Dampfschiffe. So nahe am Bahnhof! Zwei waren da und jedes hatte einen angeketteten Steg an das Ufer und alles schaukelte zünftig, die Schiffe und Stege, und doch gingen viele Leute über diese Stege und wackelten auch.

Nur noch drei Stationen und wir sind in St. Gallen.

………………

Anno 1896 kam ich durch Vermittlung meines ältesten Bruders nach St. Gallen in eine Gärtnerlehre. Es hätte mir gut gefallen etwas zu lernen, aber ich war körperlich zu schwach und bekam zudem sehr wenig zu essen, so dass ich eher noch schwächer wurde. Auf Reklamation eines früheren Lehrers, der mich zufällig einmal antraf, reklamierte mein Vater beim Lehrmeister und der Lehrvertrag wurde aufgelöst. Ich kehrte wieder heim.

Wir wohnten jetzt in Frümsen. Von hier aus ging ich täglich nach Salez und stickte auf einer 4/4 Handmaschine und verdiente sehr wenig. Am 17. Januar 1897 verliess ich endgültig mein Elternhaus und zog nach Bühler (Appenzell) zu meiner seit einigen Monaten dort verheirateten Schwester Anna.“

Auch hier trat ich in einer kleinen Fabrik als Sticker ein und blieb 6 Wochen. Ich bekam dann eine Stelle als Packer und Ausläufer in der Appretur Abraham Preisig-Sutter. Ich wurde sozusagen im ganzen Betrieb in die Arbeit eingeführt (Appretküche und Saalarbeiten) und erhielt 25 Rappen Stundenlohn = Fr. 2.50 im Tag, ältere Arbeiter hatten 3 Franken. Hier war ich 3/4 Jahre.
Da mein Schwager unterdessen nach Rüdlen-Gossau bei Herisau übersiedelt war, zog es auch mich dorthin, aber schon nach kurzer Zeit wieder zurück nach Bühler. Hier fand ich Arbeit in der Bleicherei Fisch und Preisig, aber diese Arbeit war für mich zu streng und ungesund. Ich erkrankte an Lungenentzündung, nachher konnte ich diese Arbeit nicht mehr ertragen und ging als Wanderbursche auf die Walz und unter vielen Entbehrungen durchwanderte ich einen grossen Teil der Schweiz zu Fuss und etwas ins Deutsche Grossherzogtum. In 26 Tagen von Bühler nach Gossau, Wil SG, Winterthur, Zürich, Zug, Luzern, Bern, Biel, Grenchen, Balsthal, Liestal, Basel, Rheinfelden, Säckingen, Waldshut, Griessen, Schaffhausen, Kreuzlingen, Arbon, St. Gallen, Gossau. Ankunft: Gesund aber ausgehungert.

Dies war die letzte Episode aus dieser interessanten Schrift. Im Originaldokument folgen noch Beschriebe seiner Zeit in St. Gallen und Grund seiner Rückkehr, sowie Betrachtungen zum Beruf des Stickerei-Zeichners. In der Rubrik Bijoux kann das Originaldokument als PDF geladen werden.


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